Bayerische Regionalbahn/Dietmar Denger ©
Im Oberland unterwegs – BRB-Zug am Tegernsee

Der Schienenpersonennahverkehr in Bayern ist nach der Bahnreform deutlich leistungsfähiger. Wegen weniger Fahrgästen durch Corona stehen die privaten Bahnen nun vor neuen Herausforderungen.

Stefan Bottler, Ausgabe 12/20

Wachwechsel in der Vorweihnachtszeit – wenn auch erst im nächsten Jahr: Anfang Dezember 2021 wird die Bayerische Regiobahn GmbH (BRB) den Betrieb auf der 35 Kilometer langen Strecke Freilassing–Bad-Reichenhall–Berchtesgaden aufnehmen. Ab Dezember 2022 wird sie dann auch auf der zwölf Kilometer langen Verbindung Traunstein–Ruhpolding unterwegs sein. Die Schienenpersonennahverkehre (SPNV) auf beiden Trassen hatte die Bayerische Oberlandbahn GmbH (sie ging kürzlich ebenso wie die Marke Meridian in der BRB auf) Ende 2018 in einer europaweiten Ausschreibung gewonnen. Für BRB-Geschäftsführer Fabian Amini (44) sind solche Erfolge ein Beweis dafür, dass der Wettbewerb funktioniert: »Wir mussten uns gegen starke Konkurrenten durchsetzen.«

Im Berchtesgadener Land löst die BRB überdies die von einem deutsch-österreichischen Konsortium gegründete Berchtesgadener Landbahn GmbH (BLB) ab. Im Chiemgau muss die Konzerntochter DB Regio AG Platz für die BRB-Züge machen. Den Weg für den Wettbewerb auf der Schiene ebnete 1994 die Bahnreform. Mit ihr wurde nicht nur die Deutsche Bahn zur AG, sie öffnete auch die Schienenwege für private Eisenbahnunternehmen und übertrug die Zuständigkeit für den Personennahverkehr auf die Länder.

Seither ist das Angebot deutlich gewachsen: Zum Start der Bahnreform 1995 legten bayerische Regional- und S-Bahnen 82 Millionen Kilometer im Jahr zurück. Heute sind es rund 128 Millionen Kilometer. Dabei stellt der Markt ganz besondere Anforderungen an die Anbieter.

Das Verfahren

Die Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH (BEG), ein vom Freistaat gegründetes Unternehmen, ordert in europaweiten Ausschreibungen mit öffentlichen Geldern Schienenverkehre. Den Zuschlag erhält laut Vergabekriterien das »wirtschaftlichste« Angebot. »Das muss nicht unbedingt das preisgünstigste sein«, erklärt BEG-Geschäftsführer Thomas Prechtl. Die BEG formuliert Mindestanforderungen in puncto Fahrzeugausstattung und Fahrgastservice und überwacht deren Einhaltung während der Vertragslaufzeit. Bei einem Viertel der bislang knapp 70 Ausschreibungen überzeugten die Angebote von insgesamt neun privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU).

Der Wettbewerb

»In Bayern stehen Bahnen unter einem besonderen Wettbewerbsdruck«, sagt BRB-Geschäftsführer Amini. In der Regel schreibt die BEG sogenannte Nettoverkehrsverträge aus. Da die privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen alle Fahrgelderlöse behalten, müssen sie Angebote vor allem auf Basis von Einnahmen kalkulieren und hierbei die deutschlandweit vorgeschriebenen Regionalverkehrstarife berücksichtigen.

Je mehr Fahrgäste die Unternehmen gewinnen können, desto höher fallen ihre Erträge aus. Weil jedoch die BEG Verträge für wenigstens zwölf Jahre abschließt und die Ausschreibungen zwei bis drei Jahre vor Vertragsbeginn stattfinden, müssen die Firmen sehr langfristig rechnen. Unvorhersehbare Marktentwicklungen haben diese Kalkulationen schon mehrmals über den Haufen geworfen. Ein Beispiel ist die Liberalisierung des Fernbusverkehrs 2013.

Wettbewerb durch Sparangebote

Als Reaktion auf die neue Konkurrenz stockte die Deutsche Bahn ihre Sparangebote für Fernverkehre massiv auf und zahlte im Gegenzug den privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen deutlich geringere Ausgleichszahlungen für Fahrgäste, die zum Beispiel mit einem Bayernticket die Züge des DB-Konzerns im Regionalverkehr nutzten. »Den privaten Bahnen gingen zahlreiche Einnahmen verloren«, so Amini.

Derzeit macht den Eisenbahnunternehmen die Coronakrise jedoch weit mehr zu schaffen. Während des Lockdowns im Frühjahr 2020 stiegen bis zu 90 Prozent weniger Fahrgäste zu. Im Sommer betrug das Minus immer noch 30 bis 40 Prozent. Weil viele Pendler auch in Zukunft häufiger im Homeoffice arbeiten werden und Konsumenten mehr von zu Hause aus im Internet einkaufen, werden die Bahnen vermutlich auch nach der Pandemie dauerhaft weniger Fahrgäste verzeichnen. »Wir müssen das Vertrauen in den öffentlichen Verkehr wieder stärken«, nennt BEG-Geschäftsführer Prechtl daher die aktuell größte Herausforderung. Außerdem müssen Defizite in der Infrastruktur beseitigt werden, was wegen der begrenzten öffentlichen Mittel weiterhin schwierig ist.

Kostenteilung bleibt bestehen

An der bisherigen Kostenteilung zwischen BEG und Bahnen wird sich jedoch nichts ändern. Die privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen finanzieren Personal und Fahrzeuge, die BEG führt die – zuletzt stark gestiegenen – Trassen- und Stationsgebühren an DB Netz und DB Station & Service ab. Den beiden bundeseigenen Unternehmen gehört fast die gesamte Schieneninfrastruktur in Deutschland, also das Streckennetz und die Bahnsteige beziehungsweise Bahnhöfe an den Haltepunkten. Die BEG stellt besonders hohe Anforderungen an die Qualität von Schienenfahrzeugen und Fahrgastservice.

Bonuszahlungen oder Strafzahlungen

Jedes Jahr bewertet die BEG als Bestellorganisation im Schienenpersonennahverkehr alle Netze anhand von Prüferuntersuchungen sowie Fahrgastbefragungen. Die Ergebnisse werden in einem Ranking veröffentlicht. Wenn Bahnen bei Fahrgastinformation, Sauberkeit, Waggonausstattung oder Beschwerdemanagement die BEG-Anforderungen übertreffen, dürfen sie sich auf Bonuszahlungen freuen. Wenn sie hingegen ins Minus rutschen, drohen Strafzahlungen. »Für die EVU sind die Ergebnisse wichtige Daten, um permanent an der Qualität des Angebots zu arbeiten«, betont BEG-Geschäftsführer Prechtl. Rund 72 der 128 Millionen SPNV-Zugkilometer werden derzeit im Wettbewerb gefahren. Ab 2023 will die BEG alle bayerischen Verkehre ausschreiben.

Zugfahrt ist Dienstleistung

Wie die Bilanz bisher ausfällt? »Mit dem Wettbewerb im SPNV ist die Qualität der Fahrleistung deutlich gestiegen«, sagt Bernd Rosenbusch, Geschäftsführer der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV). »Die Züge sind moderner geworden und aus dem Produkt Zugfahrt wurde eine Dienstleistung für Kunden.«

Verwandte Themen