Standortpolitik

Wertvolle Alternativen

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Ersatz gefragt – Unternehmen suchen nach neuen Stoffen und Prozessen

Manche Roh- und Ausgangsstoffe sind knapp, andere aus ökologischer oder gesellschaftlicher Sicht bedenklich. In Oberbayern arbeiten einige Unternehmen daran, innovative Lösungen für das Problem zu finden.

EVA MÜLLER-TAUBER, Ausgabe 11/2022

Palmöl ist ein Alleskönner. Billig, beinahe geschmacksneutral, hitzebeständig, lange haltbar und industriell gut zu verarbeiten, steckt es in unzähligen Produkten von Biokraftstoffen über Lebensmittel bis zu Reinigungs- und Kosmetikprodukten. Doch der Rohstoff, der aus den Früchten der Ölpalme gewonnen wird, hat einen schlechten Ruf. Um der hohen Nachfrage nach dem preiswerten Pflanzenöl gerecht zu werden, wird großflächig Regenwald abgeholzt.

Gute Gründe, nach Ersatz zu suchen

Das setzt enorme Mengen des dort gebundenen Kohlenstoffdioxids frei und verstärkt so den Treibhauseffekt. Gleichzeitig trägt die Rodung zum Artensterben bei, weil viele Tiere aus ihrem Lebensraum vertrieben werden. Das alles sind gute Gründe, nach Ersatz zu suchen.

»Innovationen sind Bündnis mit der Zukunft«

Palmöl gehört zu den zahlreichen Roh- und Ausgangsstoffen, für die Unternehmen nach innovativen Alternativlösungen forschen. »Sei es, weil sie eben bedenklich, also aus ethischer Sicht kritisch, sind oder aber gesundheitsschädlich oder nicht in ausreichendem Maße verfügbar«, sagt Birgit Petzold, Innovationsexpertin der IHK für München und Oberbayern, und zitiert den deutschen Chemiker und früheren BASF-Forschungsvorstand Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger: »Innovationen sind ein Bündnis mit der Zukunft.« Wer vorausschauend plane, investiere frühzeitig in vielversprechende Ideen.

Komplexe Substitution

Zahlreiche Unternehmen handeln entsprechend. »In Oberbayern gibt es bereits viele gute Ansätze, wie sich knappe oder bedenkliche Roh- und Ausgangsstoffe ersetzen lassen«, weiß Petzold. Dabei ist es in der Regel komplex, Ersatzstoffe zu finden.

Wer etwa nach Alternativen für das Palmölproblem sucht, stellt schnell fest: Ölpalmen gedeihen nur im Regenwaldklima. Daher ist der Anbau an anderer Stelle nicht sinnvoll. Auf andere Ölpflanzen wie etwa Raps auszuweichen, die in unseren Regionen wachsen, ist auch keine Lösung.

»In der EU beträgt die gesamte Rapsanbaufläche etwa 4,5 Millionen Hektar. Um nur das Palmöl im Biokraftstoffsektor durch Rapsöl zu ersetzen, bräuchte es hier weitere 4,4 Millionen Hektar Anbaufläche, was etwa der Fläche der Niederlande entspricht – also das Doppelte«, rechnet Mahmoud Masri vor. Der 41-Jährige ist CEO der Global Sustainable Transformation GST UG (haftungsbeschränkt) in Dachau, einer Ausgründung der TUM. Er beschäftigt sich seit seiner Doktorarbeit 2019 mit einer umweltfreundlichen Alternative zu Palmöl.

Hefe statt Regenwaldrodung

Gemeinsam mit Thomas Brück, Inhaber des Werner Siemens-Lehrstuhls für Synthetische Biotechnologie an der TUM, hat der gebürtige Syrer ein Verfahren zur Herstellung eines Ersatzstoffs optimiert, für den es keine Regenwaldrodung braucht: Hefeöl. Dafür nimmt der Biochemiker verwertbare, schimmelfreie Brotreste, mischt sie mit Wasser und versetzt die Masse in einem Bioreaktor mit Enzymen eines bestimmten Pilzes.

Altes Brot als Ausgangsstoff

Die wandeln die Stärke im Brot in Zucker um, der wiederum der zugesetzten ölhaltigen Hefe als Kohlenstoffquelle dient. Die Hefe wächst und lagert schließlich Fett ein, das mittels einer Zentrifuge vom Rest der Zelle getrennt wird. Hefeöl ist zwar schon seit 40 Jahren bekannt, war bisher in der Produktion jedoch mit 20 Euro pro Kilogramm viel zu teuer. Das soll sich ändern. »Wir haben die Fermentation mit unserer Mischung aus Zucker und organischer Säure von sechs auf zwei Tage und den ganzen Produktionsprozess auf eine knappe Woche verkürzt. Zudem nutzen wir keine giftigen Lösungsmittel, um an das Hefeöl zu kommen, sondern Enzyme«, erklärt Masri. Als Ausgangstoff dient noch ausschließlich Brot, »aber es lässt sich auch anderer organischer Abfall nutzen, etwa Pflanzenteile«, so der Unternehmer.

Nachhaltige Bioökonomie

TUM-Forscher Brück sieht gerade in alternativen biogenen Rohstoffen großes Zukunftspotenzial: »Sie ermöglichen uns, von fossilen Quellen wie Öl und Gas unabhängig zu werden, und erleichtern damit den Übergang zu einer rohstoffagnostischen, nachhaltigen und zirkulären Bioökonomie.« Zwar seien neue Prozess- und Logistikketten nötig, um die Rohstoffbasis aus Restbiomasse des Agrar-, Forst- und Lebensmittelsektors stets flexibel zusammenstellen zu können. »Doch genau die Nutzung dieser Rohstoffe ermöglicht eine regionale und saisonale Produktion. So schaffen wir uns resiliente Produktionsmöglichkeiten und sorgen zudem dafür, dass unsere Industrie nicht mehr so stark auf Rohstoffe aus Drittstaaten angewiesen ist.« Dies sei angesichts der Rohstoffverknappung unabdingbar.

Das Stichwort: Chemikalienstrategie

Im Herbst 2020 hat die Europäische Kommission ihre Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit verabschiedet. Sie ist Teil des Null-Schadstoff-Ziels der EU – eine zentrale Verpflichtung des europäischen Green Deals – und zielt mit ihren Maßnahmen darauf ab, Bürger und Umwelt besser vor schädlichen Chemikalien zu schützen. Gleichzeitig betont sie, dass die grüne Wende der Chemieindustrie und ihrer Wertschöpfungskette stärker gefördert werden sollte, also CO2-arme und umweltschonende Herstellungsverfahren für Chemikalien und Werkstoffe.

Weitere Infos auf der Webseite der IHK zur Nullschadstoff-Kreislaufwirtschaft.

Auch die Clariant AG setzt Agrarreste ein, um Biokraftstoff zu erhalten. Das Schweizer Chemieunternehmen arbeitet in Planegg bei München an dem sogenannten sunliquid®-Verfahren. Dabei werden Weizen- und Maisstroh in Zellulose-Ethanol umgewandelt. Das Besondere an dem Verfahren und dem daraus gewonnenen Biokraftstoff: Es nutzt das Potenzial von Pflanzen voll aus, indem auch derzeit wenig verwendete Rohstoffe verwertet und die in den Stängeln enthaltenen, schwer zugänglichen C5- und C6-Zucker gleichzeitig in einem hochoptimierten One-Pot-System beinahe vollständig in Ethanol umgewandelt werden. Unternehmensangaben zufolge werden dadurch bis zu 50 Prozent höhere Ethanolerträge erzielt als durch herkömmliche Verfahren, mit denen nur C6-Zucker umgewandelt werden.

50.000 Tonnen Zellulose-Ethanol aus Stroh

Bereits 2012 errichtete Clariant am Standort Straubing eine Zellulose-Ethanol-Demonstrationsanlage mit einer jährlichen Kapazität von bis zu 1.000 Tonnen Ethanol. Die erste kommerzielle Großanlage nahm im Herbst 2021 in Rumänien ihren Betrieb auf. Hier werden pro Jahr ungefähr 250.000 Tonnen Stroh zu 50.000 Tonnen Zellulose-Ethanol verarbeitet.

Innovationstreiber: kleine Firmen

Ideen für Alternativstoffe sind vielerorts bereits in Arbeit, beobachtet Wissenschaftler Brück. »Gerade kleine Betriebe sind hier oft die Innovationstreiber.« Um schneller Substitute für kritische Rohstoffe zu entwickeln, sei jedoch eine noch stärkere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft wünschenswert. »Wir müssen versuchen, vor allem die Lücke zwischen der Entwicklung eines Demoprojekts und der Markteinführung besser zu schließen«, sagt Brück. Und wie? »Indem wir etwa die Innovationsförderung im möglichen Rahmen weiter ausbauen, zum Beispiel über einen europäischen Fonds.« Sonst bestehe die Gefahr, dass zukunftsfähige Lösungsansätze vermehrt versanden.

Datenbank geplant

Positiv findet Brück, dass es künftig öffentlich zugängliche Datenbanken geben soll, aus denen ersichtlich ist, an welchen Projekten und Ersatzstoffen die Wissenschaft bereits arbeitet. »So finden interessierte Unternehmen und Projektträger leichter und früher zueinander.« Das könnte vielleicht die Zeit verkürzen, bis eine Innovation die Marktreife erreicht hat, also in großen Mengen hergestellt werden kann und auch preislich konkurrenzfähig ist. Das dauere derzeit je nach Branche fünf bis 15 Jahre.

Schokolade ohne Kakao

So lange wollen Sara (34) und Maximilian Marquart (36) nicht warten. Die Geschwister gründeten 2018 das Unternehmen QOA – heute Planet A Foods. Sie entwickelten Nocoa, die echter Schokolade weder geschmacklich noch optisch oder vom Geruch her nachstehen soll. Der Name setzt sich aus den englischen Wörtern »No« und »Cocoa« zusammen. »Für ihre Herstellung verwenden wir weder Kakaopulver noch Kakaobutter«, versprechen die beiden.

400 Kilogramm Schoko-Alternative pro Stunde

Statt Kakao, der wie Palmöl eine schlechte Klimabilanz aufweist, verwenden die Jungunternehmer Hafer. Die Verarbeitung indes ähnelt der von Kakao. »In unserem Prozess fermentieren wir Hafer und rösten diesen anschließend, genau wie bei der herkömmlichen Kakaobohnenverarbeitung«, erläutert die promovierte Lebensmittelchemikerin Sara Marquart. Derzeit geht eine neue, größere Produktionsanlage in Betrieb. »Mit ihr können wir bis zu 400 Kilogramm Nocoa pro Stunde produzieren«, so die Gründer, denen »ein relevanter Impact auf die globale Lebensmittelerzeugung« wichtig ist. »Den erreichen wir nur, wenn wir mit Partnern zusammenarbeiten und Nocoa anderen Unternehmen anbieten, die sie in ihre Schokoladenprodukte integrieren.« Im ersten Schritt kooperieren sie mit Eisdielen, Restaurants und Bäckereien in ganz Europa. Im August gab es in München eine erste große Verkostung von veganem Nocoa-Eis.

Alltagstauglichkeit bewiesen

Auch Masris Hefeöl hat beim Frittieren von Krapfen bereits seine Alltagstauglichkeit unter Beweis gestellt und soll ab Ende 2023 in einer Pilotanlage in kleinen Mengen produziert werden. Der Unternehmer ist jedoch Realist. »Ganz werden wir Palmöl nicht durch Hefeöl ersetzen können. Aber zumindest tragen wir auf diesem Weg dazu bei, die Rodung des Regenwalds zu minimieren.« Zudem könnten auch alle übrigen Biomasse- und Agrarabfallströme der Palmölindustrie als Ausgangsmaterial für die Hefegärung verwendet werden. »In diesem Fall verlieren die Palmölarbeiter nicht ihre Arbeitsplätze und können mehr Öl auf weniger Fläche produzieren.«

Ressourceneffizienz- Zentrum Bayern

Ersatzstoffe zu finden oder zu entwickeln ist das Eine. Ebenso wichtig ist, Ressourcen und damit auch Rohstoffe so effizient wie möglich einzusetzen, also etwa möglichst wenig Abfall beziehungsweise Ausschuss zu produzieren und Reststoffe soweit möglich zu recyclen und wiederzuverwenden. Was in diesem Bereich möglich ist, darüber können sich Unternehmen beim Ressourceneffizienz-Zentrum Bayern (REZ) informieren.

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