Mobilität | Standortpolitik

Verkehr soll wieder fließen

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Stop-and-go macht Fahrt- und Transportzeiten unkalkulierbar

Auch wenn derzeit andere Themen Priorität haben: Maßnahmen gegen den Verkehrskollaps im Ballungsraum München bleiben auf der Agenda. Denn München ist Deutschlands Stauhauptstadt. Und das Verkehrsaufkommen steigt weiter.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 06/20

Selbst morgens um acht kein Stau auf der A99, durchgehend freie Fahrt am Mittleren Ring und in der Innenstadt: In Zeiten der Coronapandemie fällt es schwer zu glauben, dass München erst Anfang März zur deutschen Stauhauptstadt erklärt wurde. Dieser traurige Spitzenplatz basiert auf den Untersuchungen des US-amerikanischen Verkehrsinformationsanbieters Inrix, der Stau- und Mobilitätstrends in mehr als 900 Städten in 43 Ländern untersucht. Die auch volkswirtschaftlich relevante Konsequenz: Münchner Autofahrer verbrachten im vergangenen Jahr insgesamt 87 Stunden in Staus und stark stockendem Verkehr.

Intelligente Lösungen für alle Verkehrsträger

Sobald die akute Coronakrise überstanden ist und die Räder wieder rollen, wird auch der werktägliche Stau im Großraum München wohl wieder Alltag werden. Nach Ansicht von Gregor Beiner (34), Geschäftsführer des mtz – münchner taxi zentrum, ist der Verkehrskollaps auf Münchens Straßen längst eingetreten. »Vor Corona standen unsere 250 Fahrer quasi im Dauerstau«, berichtet er. Das verlängerte nicht allein die Fahrtzeiten für die Fahrgäste. »Es wurden auch immer mehr bereits gebuchte Fahrten storniert, weil die Taxis auf dem Weg zum Kunden im Stau stehen.« Taxis sollten auch in München durchgängig die Busspuren nutzen dürfen, wünscht sich daher Beiner. »Schließlich gehören Taxis auch zum öffentlichen Personennahverkehr.«

Weiter wachsende Metropolregion

Jenseits dieser relativ einfach umzusetzenden Einzelmaßnahme plädiert der mtz-Geschäftsführer dafür, die Mobilität in der Stadt nicht einzuschränken, sondern zu verbessern – und zwar mit intelligenten Lösungen über alle Verkehrsträger hinweg. Denn allein mit punktuellen Optimierungen werden sich die vielfältigen Herausforderungen kaum bewältigen lassen. Schließlich wächst die Metropolregion rasant. Derzeitige Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung in Stadt und Region München um rund 300.000 Einwohner zunehmen wird. Allein im Stadtgebiet werden laut dem Demografiebericht München von Juni 2019 in zehn Jahren 130.000 Menschen mehr wohnen als heute.

Dauerstau im Jahr 2030 von 6 bis 20 Uhr

»Die sich daraus ergebende zusätzliche Verkehrsnachfrage wird die für den Straßenverkehr verfügbare Fläche bei Weitem übersteigen«, sagt Korbinian Leitner, Leiter des IHK-Referats Verkehrsinfrastruktur und Mobilität. »Im Jahr 2030 werden die Straßen in München von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends durchgehend zu 100 Prozent ausgelastet sein.« Dies bedeute Dauerstau im gesamten Münchner Straßennetz. Dann werden Reise- und Transportzeiten noch weniger planbar, was unterm Strich die Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit des Großraums München in höchstem Maße gefährdet – von der Lebensqualität ganz zu schweigen.

Die IHK für München und Oberbayern fordert daher einen Gesamtverkehrsplan und ein Mobilitätskonzept für den Großraum München, das nicht nur dafür sorgt, dass der Verkehr fließt, sondern dies auch in Einklang mit einer hohen Lebensqualität bringt. »Dies gelingt nur mit einem systemischen Ansatz, der über das Zusammenspiel und die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger das Potenzial multimodaler, also verkehrsträgerübergreifender Lösungen ausschöpft«, sagt IHK-Experte Leitner. Das IHK-Eckpunktepapier »Innovative und nachhaltige Mobilität im Großraum München 2030« zeigt auf, was zu tun ist, um tragfähige Lösungen zu entwickeln, die den Wirtschaftsstandort stärken und die verkehrliche Erreichbarkeit sichern.

Schneller zum Parkplatz

Vor der Stadtratswahl im April wurde in München mit dem Grundsatzbeschluss »Autofreie Altstadt« und »Altstadt-Radlring« der Ausbau des Radwegenetzes intensiviert. Dafür mussten mitunter sogar Fahrspuren und Parkplätze weichen. Ob dies vom neuen Stadtrat weiter forciert wird, muss sich noch zeigen. »Trotz der zunehmenden Bedeutung des Radverkehrs sollte jedoch der ÖPNV, also der öffentliche Personennahverkehr, der im Ballungsraum München nach wie vor das leistungsstärkste Verkehrsangebot ist, Vorrang und Vorfahrt genießen«, betont Joseph Seybold, IHK-Referent für den Stadtverkehr. »Daher sollten die Kapazitäten im ÖPNV substanziell ausgebaut werden.« Darüber hinaus sei eine Lenkung des motorisierten Straßenverkehrs sinnvoll, um die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems zu erhöhen. »Der Verkehr muss fließen, die Straße wieder berechenbar werden«, fasst Seybold zusammen.

Differenzierte Preise fürs Parken

Dazu gehöre auch, dass Autofahrer in angemessener Zeit einen Parkplatz finden, was wiederum den Parksuchverkehr reduziert. Selbst der Verband der Automobilindustrie (VDA) macht sich mittlerweile Gedanken zum »ruhenden Verkehr«, also zu parkenden Fahrzeugen: Er rät unter anderem zur differenzierten Bepreisung von Parkplätzen in Kombination mit optimiertem Parkraummanagement, wie sie etwa Apps oder das autonome Parken bieten. Dabei vergisst der VDA auch den Wirtschafts- und Lieferverkehr nicht und empfiehlt, spezielle Parkflächen für die Anlieferung zu reservieren – was nicht allein bei den Unternehmern in der Münchner Innenstadt auf offene Ohren stoßen dürfte.

Mehr im IHK-Positionspapier "Innovative und nachhaltige Mobilität im Großraum München 2030" auf der Website unter "Verkehr".

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