Standortpolitik

»Wir mussten sofort helfen«

Wolf Heider-Sawall ©
Hartmut Schwab (l.), Präsident der Bundessteuerberaterkammer, und IHK-Präsident Eberhard Sasse vor der Anzeige der eingehenden und genehmigten Anträge im Atrium des IHK-Stammhauses in München (Stand: Kal.woche 46/2020)

IHK-Präsident Eberhard Sasse im Gespräch mit Hartmut Schwab, Präsident der Bundessteuerberaterkammer, über die Überbrückungshilfe in Bayern, warum sie so erfolgreich läuft und was man aus der Krise lernen sollte.

Martin Armbruster, Ausgabe 01/21

Herr Schwab, warum hat Berlin die Steuerberater mit der Überbrückungshilfe beauftragt? War das ein Akt der Verzweiflung, oder gab es dafür sachliche Gründe?

Schwab: (lacht) Beides. Ich kann mich an den Anruf gut erinnern. Ich saß im Auto auf der Rückfahrt von Berlin. Der Amtschef von Bundeswirtschaftsminister Altmaier war dran. Der sagte: Wir haben ein Problem. Können Sie das mit der Überbrückungshilfe übernehmen? Wir brauchen jemanden, der die Anträge vorfiltert, der eine Prüfung vornimmt. Dem wir vertrauen können.

Das klingt doch vernünftig.
Schwab: Jetzt kommt der Akt der Verzweiflung: Es sollte sich nicht wiederholen, was bei der Soforthilfe passiert ist.

Was lief bei diesem Hilfsprogramm schief?
Schwab: Ich formuliere jetzt hemdsärmelig: Da haben offenbar einige tüchtig zugelangt. Wir Steuerberater hatten auch bei der Soforthilfe den Auftrag, unseren Mandaten zu helfen. Es gab Fälle, da sagten meine Kollegen ihren Mandanten: Das könnt ihr so nicht machen. Die haben es dann trotzdem gemacht und ihre Anträge eben selbst gestellt. Bei vielen anderen Anträgen wurde der Steuerberater erst gar nicht gefragt.

Der Anruf bei Ihnen war also richtig?
Schwab: Ja, absolut. Der Staat hilft. Das ist gut, aber wir brauchen dafür ein Regulativ. Das muss im richtigen Rahmen sein.
Sasse: Die Politik ist da sehr kreativ gewesen. Das kennen wir von der Politik sonst gar nicht. Aber dafür braucht sie in der nächsten Stufe jemanden, der das ordentlich organisiert, der die Prozesse bestimmt, der klar sagt: So läuft das alles ab.

Mit der Abwicklung der Anträge auf Überbrückungshilfe hat auch die IHK Neuland betreten.
Sasse:
Das ist kein Neuland, das ist auch keine nette Geste von uns. Im IHK-Gesetz ist ganz klar geregelt: Wir haben uns um das Wohl und Wehe unserer Firmen zu kümmern. Corona hat viele unserer Mitgliedsfirmen in Schwierigkeiten gebracht. Wir mussten sofort helfen. Deshalb haben wir das IHK-Hauptamt mit gut 400 Mitarbeitern. Wir sind dem Prinzip des Ehrbaren Kaufmanns verpflichtet. Insofern passt das. Und wir wussten: Wir können das auch.

Wie kam die IHK zu dieser Aufgabe?
Sasse: Die war schon immer da. Wir sind dem Gemeinwesen verpflichtet. Die Staatsregierung sagte uns: Ihr seid die Wirtschaft, ihr müsst die Sache für euch selbst organisieren. Ihr habt Vertrauen in 177 Jahren aufgebaut. Macht das jetzt bitte. Und das haben wir auch gemacht: Die Anträge für ganz Bayern bearbeitet.

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat sich für Ihre gute Arbeit bei der Überbrückungshilfe bedankt. Warum lief das im Freistaat so rund?

Schwab: Die Überbrückungshilfe ist gut gelaufen, weil wir im Vorfeld gut zusammengearbeitet haben. Wir haben eine Taskforce gebildet, einen Frage-und-Antwort-Katalog erstellt. Dafür muss ich die IHK München einfach loben. In anderen Bundesländern sind staatliche Stellen mit im Boot. Und ich weiß, dass da vieles komplizierter und langsamer läuft.

Was ist dran an der Kritik, die Kriterien für die Überbrückungshilfe I seien zu streng, es werde viel zu wenig Geld abgerufen?

Schwab: Man sollte nicht darüber jammern, wenn von knapp 25 Milliarden Euro weniger als zwei Milliarden gebraucht werden. Das ist doch auch ein Glück. Das zeigt einerseits, dass die Wirtschaft nicht so stark betroffen war, wie man befürchtet hatte. Andererseits ist auch richtig, dass die Kriterien bei der ÜberbrückungshilfeI zu restriktiv waren. Ich begrüße, dass hier nachgebessert wurde und nun mehr Mandanten eine höhere Hilfszahlung erhalten, um Insolvenzen zu verhindern. Und jetzt ist genug Geld für die Überbrückungshilfe II da.

Ist die wirklich notwendig?
Schwab: Wir haben zu Beginn der Pandemie in unseren Kanzleien festgestellt, dass nicht so viele Unternehmen betroffen waren. Brutal hart trifft es insbesondere die Branchen, die wir alle kennen: Gastronomie, Reisebüros, Messeveranstalter und so weiter. Die brauchen weiter Hilfe. Aber es gibt natürlich auch Gewinner der Coronakrise. Dazu gehören viele Onlinehändler, die erleben gerade das beste Jahr ihrer Geschichte.

Das tröstet Hoteliers wenig, die jetzt wieder im Lockdown hängen.
Schwab: Auch da müssen wir unterscheiden. Um Ferienhotels am Bodensee oder in den Alpen mache ich mir weniger Sorgen. Die haben zum Teil ihre Preise angehoben und die Mehrwertsteuersenkung mitgenommen. Einige haben im Juni, Juli und August hervorragend verdient.
Wirklich schlecht geht es den Stadthotels, die von Geschäftsreisenden leben. In Frankfurt haben die ersten Hoteliers aufgegeben. Den Wandel sehe ich auch bei mir: Wir machen Videokonferenzen, ich spare mir dadurch das Hotelzimmer in Berlin.

Sasse: Mir ist ein Punkt wichtig, bei dem Mittelständler benachteiligt werden. Wir sehen, dass Dax-Unternehmen damit beginnen, unter dem Schutzschirm ihre kostspieligen Übernahmetouren der jüngsten Vergangenheit massiv im Wert zu berichtigen. Auf diese Weise wird aus praktischer Hilfe eine indirekte Subventionierung von Zukäufen. Das ist sehr elegant. Für Mittelständler ist das so nicht möglich.

Noch schlechter geht es Soloselbstständigen, weil sie keine Fixkosten haben.
Sasse:
Da entsteht auch ein psychologisches Problem. Wenn ich diesen Unternehmern nur die Flucht in die Grundsicherung lasse, trifft das ihr Selbstbewusstsein massiv. Unternehmertum hat etwas damit zu tun, Risiko zu übernehmen – aber nicht auf Sozialhilfe zu vertrauen.

Was schlagen Sie vor?
Schwab:
Dass unsere Regierung mal über die Grenze schaut. Die Österreicher verfahren da viel großzügiger. Die haben eine Art Unternehmerlohn eingeführt. Das wäre die bessere Lösung.

Welche Lehren sollten wir aus der Coronakrise ziehen?
Sasse:
Die Wirtschaft hat sich in einer Krisenlage, wie wir sie in den letzten 70 Jahren nicht kannten, selbst organisiert. Wir haben bewiesen, wie hervorragend das Prinzip der Selbstverwaltung funktioniert.

Bei der vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer ging alles schnell. Weshalb bewegt sich bei den Unternehmenssteuern nichts?

Schwab: Zumindest eine kleine Reform der Unternehmenssteuern war von der Koalition angedacht. Aktuell geht da gerade nichts. Eine schwerwiegende Folge: Es gibt auf absehbare Zeit keine Steuersenkung auf einbehaltene Gewinne, obwohl Deutschland da nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Sasse: Ein Problem sind auch die Medien. Da heißt es schnell: Profitgierige Unternehmer verlangen nur Steuersenkungen. Die wollen sich nicht am Finanzieren der gemeinsamen Lasten beteiligen. Auch viele Politiker verstehen das nicht. Ja: Wenn ich nicht investive Mittel für mich privat aus dem Unternehmen herausnehme, akzeptiere ich den vollen Steuersatz von fast 50 Prozent. Ich will ja gar nicht, dass der gesenkt wird.
Aber der Steuersatz für das Geld, das nicht entnommen wird, das im Unternehmen arbeitet – da muss die Steuerlast runter auf 25 Prozent inklusive Gewerbesteuer. Das ist international wettbewerbsfähig, und das bringt mehr Wachstum, Jobs und Wohlstand.

Teilen Sie die Sorge vor einer kommenden Pleitewelle?
Schwab:
Es kommt darauf an, wie lange die Pandemie und die wirtschaftlichen Einschränkungen noch andauern werden. Hotels in der Innenstadt und einige Gastronomen könnte es treffen. Aber ich denke optimistisch und sehe zumindest bei unseren Mandanten keine großen Probleme.
Sasse: Auf der Kippe stehen die, die schon vor der Krise Probleme hatten. Was aber zu spüren ist: Die Unternehmen stellen sich neu auf.

Die Langfassung des Interviews steht auf der IHK-Webseite.

Zu den Personen

Eberhard Sasse, Jahrgang 1951, ist Präsident der IHK für München und Oberbayern und zugleich Präsident der neun bayerischen IHKs (BIHK).

Hartmut Schwab, Jahrgang 1959, ist Präsident der Steuerberaterkammer München sowie der Bundessteuerberaterkammer. Schwab ist als Steuerberater in Augsburg tätig und Honorarprofessor
an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Hochschule München.

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