Zu Fuß im Schnee

Schneeschuhwandern ist ein sanfter Wintersport, der einen doch ins Schwitzen bringt - ideal für Städter im Homeoffice.
Cornelia Knust, Ausgabe 12/20
Nicht die Knie zu sehr heben, eher locker dahinschlurfen.« So weist Blasius Heiß (70) seine Gruppe an. Acht Frauen und Männer, zwischen 30 und 50 Jahren alt, haben sich am Parkplatz hinter dem Lenggrieser Schloss die Schneeschuhe an die Wanderstiefel geschnallt und die Skistöcke ergriffen. Nun zuckeln sie gemächlich durch das leicht ansteigende Hirschbachtal. Man muss ja erst einmal warm werden. Das Ziel liegt 632 Höhenmeter entfernt. Es heißt Lenggrieser Hütte und ist für seine schöne Aussicht auf das Karwendelgebirge bekannt. Hoffentlich reißt die Wolkendecke noch auf.
Stille Alternative zum Alpinskilauf
»Schneeschuhwandern liegt seit drei bis fünf Jahren im Trend«, sagt Heiß, gebürtiger Lenggrieser, gelernter Kaufmann und heute Rentner. Fast jeden Samstag bricht er im Winter mit Gästen zu einer solchen Wanderung auf. Vor sieben Jahren, gleich nach seinem letzten Arbeitstag bei einem Münchner Großhändler für Kfz-Teile, hat er sich in der Steiermark zum Bergwanderführer ausbilden lassen und eine Ein-Mann-Firma gegründet.
Im Sommer begleitet er seitdem Touristen auf Bergtouren oder wird für Firmenevents gebucht. Im Winter ist er einer von vier Schneeschuhführern im Kalender der Lenggrieser Touristeninformation. »Viele wollen weg vom alpinen Skilaufen. Sie wollen die Natur erleben und die Stille«, erzählt Heiß. »Mancher gestresste Manager, den ich führe, genießt nur die Bewegung und spricht während der ganzen Tour kein Wort.«
Sofern gewünscht, kann »Blasi«, wie er sich gleich per Du vorstellt, aber auch erzählen. Von der Burg, die hier stand und das ganze Tölzer Land beherrschte, aber leider 1707 den Flammen zum Opfer fiel. Vom auf den Trümmern erbauten Schloss Hohenburg, das den Luxemburger Großherzögen gehörte, dann den Ursulinerinnen, die hier in den 1950er-Jahren eine Mädchenschule einrichteten. Oder vom längst verstorbenen Unternehmer Max Grundig, der den Luxemburgern 1953 ihren pompösen Gutshof samt Bergwald und Almhütte abkaufte.
Spazieren mit Schneeschuhen
Das lang gestreckte Gebäude, noch heute im Besitz der Familie Grundig, markiert den Beginn der Schneeschuhwanderung. Gegenüber schnuppern Pferde an Heu. Dann nimmt der wild rauschende Hirschbach die Aufmerksamkeit der Wandernden gefangen, schließlich der verschneite Wald links und rechts des immer steiler ansteigenden Weges. Hier kann man sich noch orientieren, aber wo der Wald aufhört und der nackte Gipfel mit dem Seekarkreuz in den Blick kommt, ist alles weiß und kein Weg mehr zu erkennen. Außerdem ist auf Lawinengefahr zu achten.
Blasius und seine Gäste spuren den feinen Pulverschnee mit ihren platten Schuhen aus Kunststoff, die an der Unterseite mit Metallzähnen besetzt sind. Die Schneeschuhe geben Halt und verhindern das Einsinken. Man kann fast normal spazieren. Mehr als 20 Prozent Steigung ist mit den Schuhen aber nicht zu machen. Für mehr sollte man auf Tourenski umsteigen und ein guter Skifahrer sein. Fürs Schneeschuhwandern braucht man eigentlich nur eine gewisse Fitness und etwas Bergerfahrung.
Suboptimale Arbeitsgeräte
Früher waren die Schuhe keine Sportgeräte. Aus gebogenem Holz gefertigt und mit Lederschlaufen versehen, dienten sie als Hilfsmittel für Förster und Jäger. Eher suboptimale Arbeitsgeräte waren das, an denen der Schnee haftete und sie immer schwerer machte, wie Heiß erzählt. Was schwere Arbeit heißt, kennt er von seinen Vorfahren, die auf dem Bauernhof und im Sägewerk arbeiteten. Wie einen Krieg und Gefangenschaft um Jugend und Bildung betrügen können, weiß er vom Vater und dessen Brüdern. Harte Jahre waren das. Kein Wunder, dass früher keiner der Einheimischen auf die Berge ging: Am Sonntag ruhte man sich erschöpft zu Hause aus.
Seinen Heimatort Lenggries (betont auf der ersten Silbe) links und rechts der Isar kennt Heiß genau. Natürlich die Kiesbänke, den »langen Kies«, die den Ortsnamen erklären. Ebenso den Gasthof Pfaffensteff’l, in dem sich auf halbem Weg die Ordensleute aus den Klöstern Tegernsee und Benediktbeuern trafen, die bis zur Säkularisation über das Land geboten.
Zwischen »Grieslern« und aktuellen Themen
Lebendig wird bei Heiß auch das wechselvolle Schicksal der »Griesler«, der armen Kleinbauern, die auf den mageren, von Überflutung bedrohten Kiesbänken hausten und gegen die Großbauern am Hang auf ihren guten Böden nichts ausrichten konnten. Das änderte sich erst, als der Sylvensteinspeicher gebaut wurde, der das Wasser regulierte und den Grieslern so wertvollen Baugrund bescherte – das kehrte die Verhältnisse um. Bei all dem kann man mit Heiß, wegen seiner Wirtschaftserfahrung, auch über Firmenstrategien, Finanzinvestoren und Mitarbeiterführung fachsimpeln. Natürlich auch über Lokalpolitik und Naturschutz.
Beim letzten Punkt ist er erstaunlich konziliant. Ja, die Zahl der Tagesausflügler und Feriengäste habe zuletzt wegen Corona stark zugenommen, aber in Lenggries sei das alles noch im Rahmen. Ja, der Klimawandel sei spürbar und auch die Schneeschuhtouren würden wegen Schneemangels schwieriger, aber er habe noch Ausweichrouten. Ja, man müsse gerade im Winter die Ruhe der Wildtiere schützen, aber deshalb nicht gleich militant werden.
Abstandhalten fällt hier leicht
Auch Heiß will seine Heimat schützen. Er plädiert für eine bessere Beschilderung und Pflege der Wege zur Lenkung der Menschen. Er ist für den Erhalt kleinerer Berghütten mit Charme statt Massenabfertigung. Er wünscht sich weniger »Ego« bei den konkurrierenden Nutzern der Berge: Wanderer, Mountainbiker und neuerdings massenweise E-Bikes, die seit dem Corona-Lockdown stark im Trend liegen.
Für seine Schneeschuhtouren erwartet Heiß keine höhere Frequenz in der Pandemie. Dabei wäre das plausibel, droht doch bei dieser Sportart kein Getümmel am Lift und auch kein AprèsSki. Abstandhalten fällt hier leicht. Für die breite Masse sei das aber nichts, meint der Wanderführer. Nur für einigermaßen trittsichere Fans der Stille.