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Nachfolge mit Corona-Effekten

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Übergabe – worauf kommt es jetzt an?

Die Pandemie beeinflusst den Generationswechsel in vielen Firmen. Plötzlich müssen neue Aspekte mitberücksichtigt werden. Was Seniorunternehmer und Nachfolger wissen sollten.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 12/2021

Binnen neun Monaten vom ersten Kontakt zum Unternehmen bis zum unterzeichneten Kaufvertrag: Der Generationswechsel bei der Traut Bürokommunikation GmbH & Co. KG ging ausgesprochen zügig über die Bühne. Dass der rasante Management-Buy-in im Coronajahr 2020 erfolgte, macht ihn umso bemerkenswerter.

Schließlich haben nicht nur Kontaktbeschränkungen lange den persönlichen Austausch und die sonst üblichen Betriebsbesichtigungen erschwert. Durch die Pandemie sind auch vormals solide Geschäftsmodelle ins Wanken geraten, während es in manchen Branchen zu unerwarteten Umsatzsteigerungen kam. Das machte – und macht – die Beurteilung der geschäftlichen Gesamtsituation und die Einschätzung von Zukunftsperspektiven wesentlich komplexer als vor der Pandemie.

Bei 7 von 10 IHKs Zahl der Beratungen gesunken

Die Auswirkungen zeigen sich deutlich in der Statistik: Bei den 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland gab es wegen Corona weniger Beratungen zur Nachfolge. Bei der Befragung für den DIHK-Report »Unternehmensnachfolge« im Oktober 2020 erklärten 71 Prozent der IHKs, dass die Zahl der Beratungen zu diesem Thema seit März 2020 gesunken oder sogar stark gesunken sei. Jede zweite IHK rechnet mit einem Rückgang der Unternehmensnachfolgen in ihrer Region.

Firmenbeispiel der Bopp & Hahn Mittelstandspartner GbmH, wie die Suche nach übergabereifen Firmen mit Investorenhilfe gelingt.

Transaktionen rund um familienfremde Nachfolgelösungen kamen durch Corona sogar nahezu zum Erliegen. »Insbesondere die Lockdowns führten in diesem Bereich zu einer kleinen Schockstarre«, berichtet Justus Schmidtke (45), der als Senior Investment Manager bei der BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft mbH in den Übernahmeprozess bei Traut Bürokommunikation involviert war. »Viele Seniorunternehmer stellten das Thema Nachfolge zurück und beschäftigten sich vorrangig mit der Sicherung ihrer Liquidität und den erforderlichen Anpassungen ihres Geschäftsmodells.«

Diese Schockstarre hat sich mittlerweile gelöst. Seit April 2021 steige der Dealflow wieder, sagt Schmidtke: »Momentan erhalten wir sogar etwas mehr Anfragen als vor Corona. Für Kaufinteressenten ist die Lage derzeit günstig, weil die Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Unternehmenskäufen stimmen.« Dennoch sollten sich Interessenten frühzeitig über die Finanzierung des Kaufpreises Gedanken machen und dabei auch Co-Investoren oder stille Beteiligungen in Betracht ziehen.

»Wichtig ist bei einem geplanten Management-Buy-in jedoch vor allem, nichts zu überstürzen und nicht gleich die erstbeste Gelegenheit wahrzunehmen, sondern in Ruhe zu prüfen, ob das Unternehmen tatsächlich zu den Vorstellungen passt«, rät der BayBG-Experte potenziellen Nachfolgern. Das gilt schon allein deshalb, weil in vielen Fällen Coronaeffekte den Betrieb und auch den Übergabeprozess selbst beeinflussen.

Firmenbeispiel: Traut Bürokommunikation

Was das konkret bedeuten kann, zeigt der Fall von Traut Bürokommunikation. Das Unternehmen mit Sitz in Puchheim westlich von München bietet seinen rund 1.300 mittelständischen Kunden Unterstützung bei digitalen und papierorientierten Dokumentenprozessen. Hauptgeschäftsfeld sind Lösungen rund um den Multifunktionsdruck. Die Pandemie ging auch an dem Unternehmen nicht spurlos vorbei. »Im Homeoffice wurde natürlich wenig gedruckt«, sagt Andreas Berninger (52), der das Unternehmen gemeinsam mit Florian Kornprobst (48) erworben hat. »Daher gab es durchaus Einbrüche. Doch die Rahmenverträge mit den Kunden sorgten auch während der Lockdowns für Kontinuität, sodass die wirtschaftliche Situation verhältnismäßig stabil war.« Zudem lockten die strategischen Optionen für die Weiterentwicklung des Unternehmens zum IT-Dienstleister, der vom Drucker über die Telefonanlage bis hin zum Hosting der Server ein Rundum-Dienstleistungspaket bietet.

»Anfang 2020 waren wir über die Unternehmensbörse con/cess M&A Partner auf Traut gestoßen und fanden das Unternehmen sehr interessant«, berichtet Berninger. Nach der Sichtung erster Unterlagen beschlossen er und Kornprobst im März 2020, ihr verbindliches Kaufinteresse per Letter of Intent anzuzeigen – ohne das Unternehmen vorher besichtigt zu haben.

»In den darauf folgenden Wochen des Lockdowns haben wir weiterhin darauf verzichtet, uns mit dem Gründer und Eigentümer Hans Traut zu treffen, und lediglich einige Male mit ihm telefoniert«, sagt Berninger. Das erste persönliche Gespräch fand bei der Betriebsbesichtigung Anfang Juni 2020 statt. Anschließend wurde per Videotelefonie weiterverhandelt. Dabei wurde Traut von einem Nachfolgeexperten und seinem Steuerberater unterstützt.

Due Diligence in sechs Wochen

Die beiden Käufer engagieren sich seit rund zehn Jahren als Business Angels und sind daher mit den Prozessen rund um Unternehmensakquisitionen vertraut. »Daher konnten wir die Due Diligence, also die Prüfung der Unternehmenszahlen, binnen sechs Wochen abwickeln«, sagt Berninger. Die Liste der Fragen, die die Käufer im Rahmen der Due Diligence klären wollten, umfasste allerdings mehr als 200 offene Punkte. »Denn um ein klares Bild der Chancen und Risiken zu erhalten, war es notwendig, tief einzusteigen, um die Effekte von Corona zu ermitteln«, erklärte Berninger.

Parallel zur Due Diligence kümmerten sich Berninger und Kornprobst um die Finanzierung der Übernahme. Sie setzten auf eine stille Beteiligung der BayBG, die Mezzanine-Kapital zur Verfügung stellte. »Dies erleichterte uns die anschließenden Verhandlungen für Bankdarlehen signifikant«, so Berninger. Im November 2020 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet, die offizielle Übergabe erfolgte im Januar 2021.

Der umfangreiche Fragenkatalog ist kein Einzelfall, damit müssen Seniorchefs rechnen. »Corona hat dazu geführt, dass sich potenzielle Käufer die Unternehmen derzeit noch genauer anschauen«, berichtet BayBG-Experte Schmidtke. »Da das Jahr 2020 ja keinesfalls repräsentativ war, ist es derzeit äußerst empfehlenswert, auch die Zahlen der Jahre zuvor sowie die Planungen für 2021 und 2022 zu analysieren.«

Grundsätzlich müsse geklärt werden, welche Auswirkungen Corona auf das Unternehmen habe und ob es sich dabei um einmalige Effekte oder um nachhaltige Veränderungen handle, die das gesamte Geschäftsmodell dauerhaft beeinträchtigen – und zwar positiv wie negativ.

Daher empfiehlt er Seniorunternehmern, die als Nachfolgelösung den Verkauf ihrer Firma anstreben, mitunter noch abzuwarten, bis die Unsicherheitsfaktoren wieder geglättet sind. »Wichtig ist nun auch«, so der BayBG-Experte, »bei den Präsentationen herauszuarbeiten, wie die Krise bewältigt wurde.«

Unternehmen vor Kauf ansehen

Beim Verhandlungsprozedere selbst gibt es Pandemiefolgen, die wohl weiter Bestand haben werden. Dazu gehört die Zahl der persönlichen Besuche. Dass ein Kaufinteressent das Unternehmen vorher sieht, sei wesentlich, meint Willem Keijzer (45), Gründer und Managing Director der CNX Transaction Partners GmbH, die mittelständische Unternehmer, Eigentümer und Investoren bei Unternehmenskäufen und -verkäufen (M&A) unterstützt. »Das reduziert die Risikowahrnehmung und schafft Vertrauen.« Das gilt auch für persönliche Treffen zwischen Verkäufern und Interessenten. Dennoch sieht Keijzer es positiv, wenn künftig ein großer Teil der Verhandlungen online geführt wird und Livekontakte auf eine überschaubare Zahl an Terminen beschränkt werden. »Videocalls sind leichter zu koordinieren und erhöhen die Effizienz«, meint Keijzer.

Eine weitere Veränderung, die zumindest in absehbarer Zeit bleiben wird, sind die deutlich gestiegenen Anforderungen an Aufbereitung und Inhalte der Unternehmensinformationen. »Transparenz und proaktive Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Unternehmen sind besonders wichtig«, sagt Keijzer (siehe Kasten unten). »Zudem sollte ein Seniorunternehmer plausible Planungen für die künftige Entwicklung des Unternehmens vorweisen können.«

Obwohl sich die Zahl der M&A-Transaktionen seit Anfang dieses Jahres wieder deutlich erhöht hat, bemerkt Keijzer nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung mittelständischer Unternehmensverkäufer, die auf der Suche nach einem Nachfolger sind: »Viele sind unsicher, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Verkauf ist.«

Wann ist der ideale Zeitpunkt?

Bei Unternehmen, die durch Corona stark gewachsen sind, vertagen derzeit zahlreiche Eigentümer den Generationswechsel, weil sie darauf spekulieren, dass sie die derzeit sprudelnden Gewinne noch ein paar Jahre länger mitnehmen können und der Verkaufspreis in ein paar Jahren deutlich höher liegt. Bei Firmen, die einen coronabedingten Einbruch verzeichneten, wollen die Eigentümer dagegen ihren Betrieb nun selbst wieder nach oben bringen. »Diese Unternehmer sollten sich allerdings fragen, ob sie tatsächlich die besten Kandidaten dafür sind, ihre Unternehmen neu auszurichten und die dafür notwendigen Investitionen zu stemmen«, gibt der Berater zu bedenken.

Darüber hinaus sollten die Seniorunternehmer bereit sein, das Risiko künftiger geschäftlicher Ergebnisse mit dem Käufer zu teilen: »In diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten werden bei Übernahmen häufig Verkäuferdarlehen oder Earn-out-Regelungen vereinbart, bei denen der Seniorunternehmer einen Teil des Erlöses erst dann erhält, wenn vorab vereinbarte Kennzahlen erreicht wurden«, erklärt Keijzer.

Die Nachfolge bei Traut Bürokommunikation wurde ohne solche Klauseln abgewickelt. Mit der bisherigen Entwicklung sind die neuen Eigentümer zufrieden. Intern kämpften sie dennnoch mit coronabedingten Nachwirkungen: »Hans Traut informierte das Team erst am 17. Dezember über den Verkauf zum Jahresende«, erinnert sich Nachfolger Andreas Berninger. »90 Prozent der Mitarbeiter waren damals im Homeoffice, sodass es schwierig war, uns gegenseitig kennenzulernen. Über Teams- und Zoom-Meetings lassen sich Vertrauen und soziale Bindungen nur schwer aufbauen.«

Herausforderung: Onboarding neuer Mitarbeiter

Dass der Co-Geschäftsführer von Hans Traut, Jürgen Michel (62), an Bord blieb, bezeichnet Berninger auch aus diesem Grund als Glücksfall. Zudem bildete das Onboarding neuer Mitarbeiter eine gewisse Herausforderung. Dennoch gelang es, das Team binnen eines halben Jahres von 40 auf 50 Mitarbeiter zu vergrößern. »Und die interne Zusammenarbeit«, so Berninger abschließend, »wird von Tag zu Tag besser.«

IHK-Service zur Unternehmensnachfolge

Weitere aktuelle Infos bietet die IHK-Website zur Unternehmensnachfolge.
Deutschlands größte Nachfolgebörse nexxt-change bringt Seniorunternehmer und potenzielle Nachfolger zusammen.
 

Die Effekte von Corona herausfiltern

Was ist bei einer Nachfolge derzeit besonders zu beachten? Übergabeexperte Willem Keijzer von CNX Transaction Partners nennt typische Fragen, die Übernehmer stellen und auf die Seniorchefs eine Antwort haben sollten.

  • Wie gut war das Unternehmen vor der Coronakrise aufgestellt? Inwieweit hat die Pandemie als Katalysator – im Positiven wie im Negativen – gewirkt und bereits vorhandene Entwicklungen lediglich verstärkt und/oder beschleunigt?
  • Welche Umsätze sind oder waren auf kurzfristige Effekte der Pandemie zurückzuführen? So kann zum Beispiel die Produktion von Desinfektionsmitteln während der ersten Welle den Umsatz kurzfristig erhöht haben.
  • Welche langfristigen Markt- und Verhaltensänderungen ergeben sich durch Corona für die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens?
  • Wie sind die coronabedingten Ausfallrisiken bei Kunden und Lieferanten?
  • Hat das Unternehmen Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt? Wie stark war die Auswirkung der Kurzarbeit auf die Kostenstrukturen? Was ist nach Beendigung der Kurzarbeit zu erwarten?
  • Enthalten die Verträge mit Lieferanten und Kunden Klauseln zu »höherer Gewalt« und welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen haben diese Bestimmungen?
  • Hat das Unternehmen Coronahilfsprogramme in Anspruch genommen? Waren diese gerechtfertigt oder besteht das Risiko, dass Hilfen zurückgezahlt werden müssen?
  • Hat das Unternehmen aufgrund der Coronaregelungen Steuerzahlungen ausgesetzt, wurden ihm Mieten gestundet oder erlassen?
  • Wurden und werden Lieferketten und Materialversorgung durch die Pandemie beeinträchtigt?

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