Standortpolitik

Immobilienmarkt: Gemischte Zwischenbilanz

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Wohn- und Gewerbeimmobilien sind weiter gefragt – die Märkte reagieren mit Verzögerung

Die Folgen von Coronakrise und Digitalisierung auf dem Immobilienmarkt: Experten wagen eine vorsichtige Standortbestimmung.

Eva Müller-Tauber, Ausgabe 10/20

Die Coronakrise stellt die deutsche Wirtschaft vor enorme Herausforderungen – und damit auch die Immobilienbranche. Entsprechend angespannt ist die Stimmung: Im zweiten Quartal 2020 fiel der sogenannte ZIA-IW-Immobilienstimmungsindex (ISI) auf ein Rekordtief von nur 16,9 Punkten. Im ersten Quartal hatte dieser Wert noch bei 39 Punkten gelegen. Um diesen Index zu ermitteln, befragt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln viermal jährlich die Geschäftsführer und Topmanager von 400 Immobilienunternehmen nach ihrer Lageeinschätzung und ihrem Ausblick.

Doch wie gestaltet sich die Situation in München und Oberbayern?

»Bisher sind wir alles in allem mit einem blauen Auge durch die Krise gekommen, Gewerbe- wie Wohnimmobilien sind nach wie vor gefragt«, resümiert Andreas Eisele, Vorsitzender des IHK-Immobilienausschusses. »Allerdings werden uns die Folgen der Pandemie und des Lockdowns noch in den kommenden Jahren beschäftigen.« Das Problem: Die Immobilienbranche reagiert stets zeitverzögert auf Krisen und ist ein sogenannter Spätzykliker.

Verstärkt wird dieser Effekt in der Pandemie durch das Kündigungsmoratorium (siehe Interview unten) und das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht. »Erst wenn diese wieder besteht, ist klar, welche und wie viele Firmen Insolvenz anmelden müssen und wie viele Mieter die gestundeten Mieten zurückzahlen können«, so Eisele. Dies und die unterschiedlichen branchenspezifischen Betroffenheiten durch Corona haben dazu geführt, dass die Banken bereits Risikobewertungen angepasst haben. Mittel- bis langfristige Prognosen für die Branche seien frühestens ab Mitte 2021 möglich. »Vorausgesetzt, uns ereilt nicht eine nochmalige Coronawelle samt zweitem Lockdown«, so Eisele.

Gleichwohl lassen sich Tendenzen erkennen, in welche Richtung sich die einzelnen Assetklassen entwickeln:

Wohnimmobilien:

Hier sind den Experten zufolge insbesondere in Ballungsräumen durch die Pandemie derzeit höchstens marginale Preisanpassungen zu erwarten. »Im Bauträgergeschäft herrschte hier zunächst noch etwas Verunsicherung, nach anfänglicher Zurückhaltung ist jedoch eine Nachfragebelebung bei Eigennutzern wie Kapitalanlegern erkennbar«, sagt Bernd Mayer, Bereichsleiter Immobilien der BayernLB. »Wir erwarten allenfalls geringe Rückgänge bei den Verkaufspreisen.« Gleichwohl habe das Sicherheitsbedürfnis durch die Krise auf allen Seiten zugenommen. »Wohnungsbauträger vermeiden spekulative Projekte, da deren Finanzierung angepasst wurde. Je nach Risikobewertung wird hier ein höherer Eigenkapitaleinsatz gefordert und/oder Vorverkaufsauflagen«, so Mayer.

»Wir haben bisher keine Mietausfälle zu beklagen, es gab in diesem Segment auch lediglich einen Stundungsantrag«, berichtet Mario Mühlbauer (46), Geschäftsführer der Dr. Hanns Maier GmbH & Co. Beteiligungs-KG in München. »Allerdings greifen derzeit noch die meisten Hilfspakete. Künftig wird sich zeigen, wer tatsächlich noch seine Miete zahlen kann.«

Büroimmobilien:

Schon vor Corona gab es in diesem Segment in der Region einen riesigen Nachfrageüberhang. Daher gilt dieser Markt noch als recht stabil, »wenngleich sich Neuvermietungen derzeit etwas schwierig gestalten«, so Mühlbauer. Das hängt auch mit der künftigen Flächengestaltung zusammen. »Finale Lösungsansätze sind noch nicht in Sicht«, sagt Jens Laub (55), Geschäftsführer der Nymphenburger Beteiligungs AG in München. Das liegt an zwei gegenläufigen Entwicklungen: Müssen Arbeitnehmer im Zuge der Pandemie im Büro künftig mehr Abstand voneinander halten, bedeutet das: Es wird mehr Fläche benötigt. Doch sollte die Digitalisierung der Arbeitswelt weiter so schnell voranschreiten und Homeoffice auch künftig populär bleiben, hieße dies: weniger Flächenverbrauch.

Immenses Untervermietungsvolumen bedeutet niedrigere Mieten

»Unterstellt man einen langfristigen Homeofficeanteil von nur zehn Prozent, wären das allein für München 1,6 Millionen Quadratmeter weniger Flächenbedarf, das entspricht der Projektentwicklungspipeline von drei bis fünf Jahren«, so Laub. Es sei davon auszugehen, dass dem Markt ein immenses Untervermietungsvolumen zugeführt wird, was mittelfristig zu mehr Incentives und niedrigeren Mieten führen würde. »In jedem Fall wird das Büro der Zukunft mehr ein Meetingpoint sein, vergleichbar mit der Küche in einer Wohngemeinschaft«, ist der Unternehmer überzeugt.

Einzelhandel:

»Der Lebensmittelhandel zeigte sich im Lockdown leistungsstark und krisenfest«, sagt Markus Wotruba (44), Leiter Standortforschung bei der BBE Handelsberatung GmbH in München. »Schon vor Corona war die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen allgemein und auch in der Region gering, der Leerstand groß«, so der BBE-Experte. »Der Lockdown hat die Entwicklung nun weiter beschleunigt, viele leere Flächen drängen auf den Markt«.

Beispiel Galeria Karstadt/ Kaufhof: Von insgesamt 50 Filialen, die schließen müssen, befinden sich allein drei in München. Die Landeshauptstadt leidet zudem darunter, dass zahlungskräftige Touristen coronabedingt weitgehend fernbleiben. Und nicht nur die, weiß Wotruba. »Während der Pandemie unterstützen viele Menschen ihre Händler vor Ort. Sie haben keine Lust auf die große Stadt samt Menschenmassen sowie auf weite Wege, öffentliche Verkehrsmittel und ausgedehnte Einkaufsbummel oder Sightseeing mit Maske.« Das alles führe zu weniger Besuchern in normalerweise frequenzstarken Lagen. »Dafür verzeichnen Händler in vermeintlich schwächeren Lagen, also in kleineren Städten wie im Umland, stabile oder sogar steigende Umsätze.«

Gleichwohl liegen vor allem viele Flächen des Textil- und Schuhhandels in den oberbayerischen Städten derzeit brach. Der Wandel im Einzelhandelsimmobilienmarkt wird sich beschleunigen, ist auch der IHK-Immobilienausschussvorsitzende Eisele überzeugt. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben beispielsweise die Insolvenz und Schließung von Karstadt/ Kaufhof-Häusern wie auch verschiedener weiterer Läden teilweise in besten Innenstadtlagen oder Shoppingcentern beschleunigt.

Neue Nutzungen als Logistikcenter oder Wohnraum

Diese Entwicklung war bereits seit vielen Jahren erkennbar. »Kommunen wie Shoppingcenter sind nun gefordert, die Funktion und Struktur von Innenstadt, Stadtteilzentren und Shoppingcentern neu zu denken«, so Eisele. Die Shoppingcenter, die schon vor der Krise ein Auslaufmodell waren, haben jetzt keine Zukunft mehr, ist BBE-Experte Wotruba sicher: »Ihre Flächen werden künftig verstärkt gemischt genutzt.« Es werde weniger Textilgeschäfte geben, dafür mehr Gastronomie, Fitnessstudios und Entertainmentformate. Aber auch andere Nutzungsmöglichkeiten seien denkbar, etwa als Logistikcenter oder als Wohnraum.

Logistikimmobilien:

Dieses Segment ist noch weitestgehend stabil. Das hat nicht zuletzt mit den Zuwachsquoten im Onlinehandel zu tun, der in der Coronakrise erneut profitiert hat. Schließlich brauchen Firmen sowohl Lager- als auch Distributionsstätten für ihre Waren. Laut Statistischem Landesamt stieg der Umsatz im Online- und Versandhandel im Juni 2020 bundesweit preisbereinigt um 30,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Es sei zwar davon auszugehen, dass sich der stationäre Einzelhandel in vielen Fällen erhalten werde, »Onlinepräsenzen werden aber unabdingbar«, erwartet BBE-Experte Wotruba.

Lodging/Tourismus/Gastronomie:

Die Coronakrise hat die Hotel- und Tourismusbranche sowie die Gastronomie besonders stark getroffen. Experten rechnen damit, dass insbesondere kleinere Anbieter vom Markt verschwinden werden. Hotels und Gastronomieimmobilien zählen daher derzeit zu den riskanten Investitionsobjekten. »Das ist ein schwieriger Bereich, immer mehr Betreiber weigern sich, ihre Miete zu zahlen, weil sie wenig einnehmen, und versuchen, ihre finanziellen Lasten an uns weiterzugeben«, weiß Mario Mühlbauer von der Dr. Hanns Maier GmbH & Co. Beteiligungs-KG aus eigener Erfahrung.

Fehlende Investitionsalternativen

Und der Investmentmarkt in seiner Gesamtheit? »Der bleibt – Hotels ausgenommen – auch in Zukunft stabil und dynamisch, das nach wie vor billige Geld und die fehlenden Investitionsalternativen lassen die Preise auch 2021 nicht fallen«, ist Jens Laub von der Nymphenburger Beteiligungs AG optimistisch. Tendenziell könne es beim Wegfall einiger Projektentwickler, die durch die Coronakrise eingebremst werden, sogar zu Engpässen kommen, »was wiederum eine weitere leichte Preisdynamik bei guten Lagen mit nachhaltigen Mietern auslösen kann«.

BayernLB-Experte Mayer blickt ebenfalls eher hoffnungsvoll in die Zukunft: »Sofern es keinen zweiten Lockdown gibt, rechnen wir bei den Wohn-, Büro- und Logistikimmobilien derzeit mit keiner weiteren deutlichen Verschlechterung. Die Transaktionsmärkte sind bei diesen Assetklassen unverändert intakt.« Bei Logistik steige die Nachfrage der Investoren eher nochmals an, auch Einzelhandelsimmobilien im Nahversorgungsbereich seien weiter recht stark gefragt. Transaktionen im Bereich der Shoppingcenter sind dagegen derzeit vermutlich eher zurückgestellt. »Im Hotelbereich gibt es aktuell ebenfalls kaum Transaktionen, die weitere Entwicklung bleibt hier abzuwarten«, so der BayernLB-Experte.

Stichwort: Kündigungsmoratorium

Wohnungs-, Haus- und Gewerbeeigentümer können ein Mietverhältnis fristlos kündigen, wenn sie zwei Monate in Folge keine Miete erhalten. Dieses Kündigungsrecht hatte die Bundesregierung zwischen dem 1. April und dem 30. Juni 2020 ausgesetzt, um Mietern finanziell Luft zu verschaffen.
Wer dieses Kündigungsmoratorium in Anspruch genommen hat, muss die gestundeten Mietforderungen allerdings bis spätestens 3. Juni 2022 begleichen.

Auch wenn eine Verlängerung des Moratoriums aus Sicht der Wirtschaft nicht zielführend gewesen wäre – die Erfahrungen der Immobilienbranche damit sind nicht schlecht. »Die wenigsten Mieter haben das Moratorium missbraucht. Eigentümer und Mieter hatten angemessene Möglichkeiten, sich zu verständigen und zu einigen«, sagt Jens Laub, Geschäftsführer der Nymphenburger Beteiligungs AG. »Es war gut, dass es sich nicht um ein Leistungsverweigerungsrecht handelte, sondern um eine Mietstundung«, ergänzt Mario Mühlbauer, Geschäftsführer der Dr. Hanns Maier GmbH & Co. Beteiligungs-KG.

»Kleingewerbe braucht Unterstützung«

»Wir als Vermieter sind generell verhandlungsbereit, aber wir erwarten, dass auch der Mieter seinen Teil zur Lösung des Problems beiträgt.« Dazu gehöre nachzuweisen, dass eine Mietstundung coronabedingt notwendig ist. »Besonders Kleingewerbe wie Reisebüros oder die Gastronomie um die Ecke brauchen aber unsere Unterstützung«, so Mühlbauer. »Deshalb haben wir versucht, mit unseren Mietern neben Stundungsvereinbarungen auch andere Lösungen zu finden, etwa die Miete für ein halbes Jahr zu reduzieren und im Gegenzug den Vertrag vorzeitig zu verlängern.«

Zu solchen Einzelfalllösungen hatte auch die IHK für München und Oberbayern geraten:
»Mietenstundungen, -reduzierungen oder der Entfall einzelner Monatsmieten – mit Blick auf die Fortsetzung des Mietverhältnisses ist es ratsam, dass Mieter und Vermieter versuchen, solche individuell passenden Lösungen für sich zu finden«, betont IHK-Immobilienreferentin Susanne Kneißl-Heinevetter.

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