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Erfolgreiche Ansiedlung – BMW-Montagewerk für Hochvoltbatterien in Irlbach-Straßkirchen

Ob ICE-Trasse, Fabrik oder Olympia – wenn Großprojekte verwirklicht werden sollen, müssen auch die Bürger einverstanden sein. Nur wie gelingt das?

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 09/2025

Endlich mal eine gute Nachricht: London und Berlin wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen. Auf sprachlicher Ebene tut sich schon viel. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ hat „Brösel-Brücken“ und „Infrastrukturstau“ wörtlich übernommen. „Was läuft schief in Deutschland?“, fragt das Blatt und bebilderte die Katastrophen: eine „Trümmerschule“, die mal ein Berliner Gymnasium war, die Sprengung der Talbrücke Rahmede, die kollabierte Carolabrücke in Dresden.

Die Autorin zeigte Empathie, mit verwahrlosten Innenstädten kennen sich die Briten schließlich aus. Und sie staunt über die Summe, die Deutschland für die Infrastruktur nun zur Verfügung hat: 500 Milliarden Euro. Das klingt gewaltig, nur glaubt in Oberbayerns Wirtschaft fast keiner mehr an Berliner Versprechen. Zumal die Bundesregierung einen wichtigen Faktor nicht auf der Rechnung hat: den Widerstand der Bürger.

Widerstand über Grenzen hinweg

Der wächst grenzüberschreitend. In der Schweiz stemmen sich Dörfer gegen die Energiewende. Oberbayerische und Tiroler Kommunen verbünden sich für den Erhalt des Lkw-Nachtfahrverbots. In den 60 Bürgerentscheiden, die es zwischen 2019 und 2024 in Österreich gab, stimmten die Bürger in 75 Prozent der Fälle mit „Nein“. Dabei wurden Vorhaben versenkt, die dringend benötigt werden: neue Straßen und Schienenstrecken.

Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, klagt in der Wochenzeitung „Die Zeit“, Jahr für Jahr werde ein Sechstel seines Landeshaushalts nicht abgerufen, weil Planungen und Genehmigungen ewig dauerten. Es mache keinen Sinn, noch mehr Milliarden obendrauf zu kippen, man kriege das Geld einfach nicht verbaut. Bayaz fordert, Politik und Verwaltung müssten das Gemeinwohl gegenüber den Bürgern konsequent vertreten. „Wir erleben bei allen möglichen Investitionen von Staat und Wirtschaft das Prinzip bei Anwohnern: nicht vor meiner Tür“, sagt der Minister.

„Nimby“ als Importschlager

Deutsche Medien haben dafür den Begriff „Nimby“ (Not in my backyard) importiert. Als Nimby kritisiert das Magazin „Der Spiegel“ ausgerechnet den Mann, der bundesweit die Bagger rollen lassen will: Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD). In seinem Wahlkreis hatten Bahn-Pläne für eine ICE-Trasse Ärger verursacht. Klingbeil machte sich zum Fürsprecher des Protests mit dem denkwürdigen Argument: „Ich habe nichts davon, wenn hier der ICE durchfährt.“

Die Bahn zog die Pläne zurück. Obwohl die Auslastung der Bestandsstrecke bei 147 Prozent liegt und sich ICEs, Regional- und Güterzüge gegenseitig ausbremsen. Was das Störmanöver besonders absurd macht: Es torpediert die Ziele der eigenen Bundesregierung. Denn bis 2030 soll sich die Zahl der Bahn-Nutzer verdoppeln, der Anteil des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent steigen und die CO2-Emissionen um 65 Prozent sinken.

Laut Bahn würde ohne die Trasse auch der Deutschlandtakt scheitern, der alle Städte im 30-Minuten-Rhythmus mit Schnellzügen verbinden soll. Das Bundesverkehrsministerium hat daher neu entschieden: Die Trasse muss her.

Umplanung als Zeitfresser

Die Selbstlähmung des Landes – in der IHK kennt man sich damit aus. Vor gut einem Jahrzehnt erinnerten die Spitzen der bayerischen IHKs beim Gespräch in der Staatskanzlei daran, wie hoch der Zeitdruck beim Ausbau der Stromnetze sei. Der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte eine andere Agenda: Auch mit Blick auf die Landtagswahl 2018 stoppte er die „Monstertrassen“ und setzte beim Bund mit der Erdverkabelung die teuerste Variante durch. Die Umplanung hat Jahre an Zeit gekostet.

Die Trassen stehen bis heute nicht, werden nun erst zwischen 2028 und 2030 in Betrieb genommen. Die EU-Kommission ist der Ansicht, der deutsche Süden müsse für seine Langsamkeit einen höheren Strompreis bezahlen. Die IHK-Organisation hält dagegen, auch die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber wollen am deutschlandweit einheitlichen Strompreis festhalten. Die Gefahr eines Kostennachteils für die bayerische Wirtschaft existiert nur, weil zuvor politisch die nötige Umsetzungsgeschwindigkeit ausgebremst wurde.

Aufbruchstimmung fehlt

Auf der jüngsten IHK-Vollversammlung erinnerte IHK-Präsident Klaus Josef Lutz an Zeiten, in denen es nicht hin und her, sondern voranging. An die Aufbruchstimmung, die rund um die Olympischen Spiele 1972 entstand. Nie wieder habe das Land seither zu diesem Schwung zurückgefunden. Lutz sprach an, wie kläglich die Kampagne für Münchens Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 gescheitert sei. Es sei nie gelungen, in der Bevölkerung eine positive Stimmung zu erzeugen. Sein Fazit: „Kommunikation ist alles.“

Niemand weiß das besser als Marc Tenbücken. Er ist Gründer und Chef der Münchner Beratungsfirma Hendricks & Schwartz GmbH. Seit gut 20 Jahren betreibt er Akzeptanzkommunikation für Großprojekte. Tenbücken lebt also quasi davon, Bürger von Projekten seiner Kunden zu überzeugen. „Eigentlich ist es traurig, dass es uns gibt“, sagt er. Aber in der „Betroffenheitsgesellschaft“ unserer Tage stünde so gut wie jedes Projekt auf der Kippe, egal wie viele Vorteile es bringt.

Nackte Zahlen erzeugen keine Euphorie

Wie selbst eine positive Stimmung kippen kann, dokumentiert die Website „Brenner-Nordzulauf“. 2011 hatten die Inntalgemeinden den „schnellen Planungsbeginn“ angemahnt, sie wollten den Ausbau also. Seit 2015 läuft der „Dialogprozess“. Mit dem Ergebnis, dass man nur eines sicher weiß: In den nächsten Jahren tut sich wenig. Derzeit prüft der Bundestag, ob für den Nordzulauf noch Geld da ist.

Die BIHK-Brennerkonferenz im Frühjahr 2025 ließ erahnen, dass für den Stillstand auch Probleme in der Kommunikation verantwortlich sind. Ein Bahn-Sprecher mühte sich, für das Projekt zu werben – aber nur mit Zahlen, Folien und Verfahrensdetails lässt sich keine Euphorie erzeugen. Auch Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) löste mit seiner Erklärung, nur der Bund sei zuständig, nicht gerade Ovationen aus.

Auf einen Kaffee nach Verona

Martin Ausserdorfer, Aufsichtsrat der Brenner Basistunnel SE (BBT), warf der deutschen Politik beim Dialog mit dem Bürger sogar Versagen vor. Er weiß, wie Überzeugungsarbeit funktioniert: Ausserdorfer versprach, der BBT bedeute die Lösung der Verkehrsprobleme am Brenner. Dafür würden 400 Güterzüge täglich durch den Tunnel gejagt. Pro Jahr 1 Million Lkws weniger – dagegen lässt sich kaum argumentieren. Er warb zudem für eine „europäische Eisenbahn“. Dereinst werde man mit dem Zug in 2-einhalb Stunden von München nach Verona „auf einen Cappuccino“ fahren, er sprach von einer „Revolution“. So viel mitreißende Begeisterung gibt es in Deutschland selten.

Die Mutlosigkeit der Politik hierzulande macht dem Berater Tenbücken Sorgen. Er hält es für riskant, die Entwicklung des Landes von Bürgerentscheiden abhängig zu machen. Die Sachkompetenz an Stammtischen und auf Instagram sei nicht höher als die im Bauausschuss oder im Landratsamt. Und die Bürger seien widersprüchliche Wesen. „Man kann nicht für den Amazon-Prime-Service und gleichzeitig gegen ein Amazon-Auslieferungslager sein. Das passt einfach nicht“, sagt Tenbücken.

Vom Megahotel am See zur Flüchtlingsunterkunft

Als typischen Fall nennt er das Beispiel eines alten Hotels in Schliersee. Die Betreiberfamilie hielt einen Neubau für kostengünstiger als die Totalsanierung. Es ging um ein 55-Millionen-Euro-Projekt, eine Riesensache für einen 6.600-Einwohner-Ort. Bürgermeister, Gemeinderat, Hotel- und Gaststättenverband waren dafür, nur der Bürgerentscheid „Kein Megahotel am See“ sagte „Nein“. Folge: Keine Sanierung, kein Neubau, das Gebäude dient heute als Flüchtlingsunterkunft.

Laut Tenbücken löst meist nur eine Handvoll „Nimbies“ solche Blockaden aus. Er sieht seine Aufgabe darin, „die schweigende Mehrheit“ zu aktivieren. Bei der Ansiedlung des BMW-Werks für Hochvoltbatterien in Irlbach-Straßkirchen ist ihm und seinem Team das gelungen. Ein Infopavillon mitten in Straßkirchen machte klar, was die Region von dem Projekt hat: 1.600 neue, gute Jobs, Bauaufträge für Handwerk und Mittelstand. Zwei BMW-Vorstände reisten aus München an, um mit den Leuten zu sprechen.

„Bavarian Speed“ für neues BMW-Werk

Das hat sich ausgezahlt. Beim Bürgerentscheid stimmten gut 75 Prozent für das BMW-Werk. Oliver Gschwandtner, BMW-Sprecher des Werks, spricht von der größten BMW-Investition in Deutschland seit 20 Jahren, von einer 3-stelligen Millionensumme und von „Bavarian Speed“. Baubeginn war 2024, schon 2026 soll die Montage der Hochvoltbatterien starten. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schaute selbst vorbei und äußerte sich zufrieden: Das neue Werk sichere die Zukunft des Autolands Bayern.

BMW-Sprecher Gschwandtner sagt, die Umsetzung dieses Projekts habe gezeigt: Die Akzeptanzkommunikation werde immer wichtiger. Offenbar baut man dafür auch in Berlin auf die Hilfe von PR-Profis. Kanzler Friedrich Merz (CDU) und deutsche Konzernchefs stellten im Juli die Initiative „Made for Germany“ vor. Im Kanzleramt kündigten die Manager an, sie wollten binnen 3 Jahren 631 Milliarden Euro in den Standort investieren. Die Regie der öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung führte die Kommunikationsberatung FGS Global GmbH.

Transparent, nachhaltig, alle im Blick

Erfolgreiche Akzeptanzkommunikation – in Penzberg zeigt das Biotechnologieunternehmen Roche, wie diese funktioniert. Es investiert dort mehr als 600 Millionen Euro in ein neues Diagnostik-Produktionszentrum. Die Fertigstellung ist für 2027 geplant, die Produktion soll 2028 starten. Das Ganze verläuft nahezu geräuschlos. Roche-Sprecher Johannes Ritter sagt, als größter Arbeitgeber im bayerischen Oberland mit rund 7.730 Mitarbeitenden genieße man in der Region hohe Anerkennung.

Laut Ritter startet Roche bei Bauprojekten sehr früh den Dialog mit lokalen Behörden, Politik, Medien, Bürgern, auch mit dem Bund Naturschutz sei man im Gespräch. Was man in Penzberg zudem schätzt, ist die nachhaltige Bauweise des neuen Gebäudes, was regionalen Baufirmen Aufträge bringt. Und bei den Ausgleichsflächen unternimmt Roche, etwa mit Aufforstungsprojekten, freiwillig mehr, als es tun müsste. Nimbies? Spielen in Penzberg offenbar keine Rolle.

10 Windräder weniger in Mehring

Im Altöttinger Forst sieht das anders aus. Die Qair Deutschland GmbH soll im Staatsforst mit 400 Millionen Euro den „größten Wald-Windpark Süddeutschlands“ errichten. 40 Windräder sollen dank „Bayern-Turbo“ schon in 2 bis 3 Jahren das bayerische Chemiedreieck mit Strom versorgen. Die IHK befürwortet das Projekt sehr, weil es hilft, den Chemiestandort zu sichern.

Nur gibt es nach einem Bürgerentscheid im 2.500-Einwohner-Dorf Mehring 10 Windräder weniger. Aus dem Betreiberumfeld heißt es, die Politik habe zu wenig für das Projekt getan.
Tatsächlich lässt sich überzeugender argumentieren, als Landrat Erwin Schneider (CSU) es tat, der dem Bayerischen Rundfunk sagte: „Die (Windräder) gefallen mir nach wie vor nicht. Aber da muss man über seinen Schatten springen.“ Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fuhr erst kurz vor der Abstimmung nach Mehring, aber da hatten die Projektgegner das Feld schon bestellt.

Bürger bei Schlüsselprojekten einbinden

„Info-Abende“ im Gasthof „Schwarz“ und YouTube-Videos hatten die „Wahrheiten“ gut verbreitet: Die Windräder seien überflüssig („Klima-Lüge“, „Schwachwind-Gebiet“), schadeten der Gesundheit („Infraschall“) und bedrohten die Freiheit („Große Transformation“). Wenn es nicht gelinge, solche Fake-News-Kampagnen in den Griff zu kriegen, sei in diesem Land kein innovatives Projekt mehr umzusetzen, warnt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl betont, das Beispiel Mehring zeige, wie nötig es sei, die Bürger bei Schlüsselprojekten mitzunehmen.

Genau darum geht es auch am 26. Oktober 2025 beim Münchner Bürgerentscheid über eine Olympiabewerbung der Stadt. Vollversammlung (siehe auch Artikel: „Wo bleibt der Aufbruch?“), Präsidium und mehrere Ausschüsse der IHK für München und Oberbayern haben sich für diesen Schritt ausgesprochen. Das Problem liege laut Gößl darin, dass eine knappe Mehrheit nicht reiche. Nur ein Votum von weit über 51 Prozent gebe einer Bewerbung den nötigen Rückhalt.

Olympia: Pariser Emotionen nach München holen

Ende Juli war im Münchner Alltag vom Bürgerentscheid noch wenig zu spüren. Die besten Argumente für die Bewerbung sind die Bilder, mit denen im vergangenen Jahr die Sommerspiele in Paris die Welt begeisterten. So ein Imagegewinn täte München gut. Gößl hat die Unternehmer aufgerufen, zur Wahl zu gehen und „ein Herz“ für ihre Stadt zu zeigen.
Vor allem aber müssen die Münchner Bürgerinnen und Bürger mitziehen.

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