Standortpolitik

Hoffen auf den Booster

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Vollversammlung – das Plenum tagte per Videokonferenz

Immer noch Corona: Die IHK-Vollversammlung diskutiert über Schritte aus der Krise und den richtigen Kurs der Nachhaltigkeit.

Martin Armbruster, Ausgabe 01/2022

»Halten die das aus?« – das fragte sich die Wochenzeitung »Die Zeit« vor dem dritten Advent 2021. Diese Frage stand auch bei der IHK-Vollversammlung am 14. Dezember 2021 im Brennpunkt. Gemeint sind Hoteliers, Wirte, Brauereien, die Betreiber der Clubs und Bars, Veranstalter, Touristikbüros und Einzelhändler, die sich alle vor einem weiteren harten Coronawinter fürchten.

Was Präsident Klaus Josef Lutz und Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl dem virtuell zugeschalteten Plenum vortrugen, machte klar: Die Wirtschaft Oberbayerns hätte sich Weihnachten gern ohne Omikron vorgestellt. Lutz äußerte sich frustriert. Statt persönlicher Begegnung wieder nur eine Debatte über Videokonferenz. Gedrückte Stimmung auch im innerörtlichen Einzelhandel. 2G, die ständige Kontrolle, das nervt die Leute, das kostet Geschäft. Tags zuvor hatte sich der IHK-Handelsausschuss zu einer Krisensitzung getroffen. Der Ausschussvorsitzende Michael Zink schilderte der Vollversammlung den Ernst der Lage. »Die 2G-Regelung hat katastrophale Folgen«, sagte Zink. Alle Ausschussmitglieder hätten mindestens ein Drittel ihres Umsatzes verloren.

Ernst Läuger, Präsident des bayerischen Handelsverbands, beklagte, seine Branche bringe ein »Sonderopfer« für die gesamte Wirtschaft. Was er besonders kritisierte: Die Coronaregeln unterscheiden zwischen täglichem und nichttäglichem Bedarf im Einzelhandel. Er hält das für ungerecht und lebensfremd.

Das Bayerische Gesundheitsministerium hatte kurz vor der Vollversammlung eine Bändchenregelung abgelehnt, die die Wirtschaft als Lösung vorgeschlagen hatte. Die Idee: Wer in die Fußgängerzone oder ins Shopping-Center will, braucht nur eine Kontrolle und kann sich danach frei in den Geschäften bewegen.

Boostern statt 2G-plus

Gößl sieht aber noch eine andere Hürde. »Die Angst ist wieder da«, sagte er mit Hinweis auf einbrechende Kundenfrequenzen. Was ihn hoffen lässt, ist der Booster-Effekt, die hohe Bereitschaft der Zweitgeimpften, sich ein drittes Mal impfen zu lassen. Er geht davon aus, dass man auch beim Boostern schnell auf eine Quote von 70 Prozent komme. Präsident Lutz zitierte zu diesem Punkt eine IHK-Umfrage unter dem Ehrenamt. Demnach befürworten 69 Prozent der Unternehmerinnen und Unternehmer eine allgemeine Impfpflicht. Das deckt sich exakt mit dem Umfragewert in der bayerischen Bevölkerung.

Laut Lutz hat man es gemeinsam mit Seilbahn- und Tourismusverbänden geschafft, die Skisaison für die bayerischen Bergbahnen zu retten. Die vorgesehene 2G-plus-Regelung wurde gestrichen. Wie in Österreich bleibt es bei 2G. Der Schnelltest entfällt.

Auch in anderen Branchen soll es nach dem Willen der IHK so laufen. Gößl berichtete, man habe Anfang Dezember über die Staatskanzlei den Vorschlag eingebracht, eine Booster-Impfung müsse auch einen Test ersetzen. Exakt das habe Söder nun für Bayern zugesagt. Das eigentliche Ziel bleibe aber weiter: »2G im Einzelhandel muss weg, so bald wie möglich.«

8,4 Miliarden Wirtschaftshilfen ausbezahlt

Bis dahin versuche die IHK alles, um ihren Mitgliedern das Leben zu erleichtern. Gößls Worten zufolge setzt sich die IHK bei der Staatsregierung gemeinsam mit dem Einzelhandelsverband wieder und wieder dafür ein. Nicht zuletzt sorgt die IHK als Bayerns Bewilligungsstelle für die Wirtschaftshilfen dafür, dass die Unternehmen die erneute Krisenphase überstehen. Die Zahlen sind beachtlich: Rund 345.000 Anträge sind eingegangen, 8,4 Milliarden Euro wurden bislang ausbezahlt.

Das Plenum diskutierte auch die Frage, wie es nach Corona weitergeht. Der Präsident beurteilte den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung durchaus wohlwollend, sieht »mehr Licht als Schatten«. Lutz hält es aber für entscheidend, wie das Papier umgesetzt wird und wie die Ampel auf »das Unerwartete« reagiert.

Die IHK erhebt überdies den Anspruch, den Strukturwandel der Wirtschaft mitzugestalten. »Wir müssen sprachfähig bleiben«, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Peter Kammerer. Die verabschiedeten »Leitlinien der Gesamtinteressenvertretung« sind die Basis dafür.

Ein Kernpunkt: Nachhaltigkeit und Klimaschutz sollen mit freier Preisbildung und über die Einpreisung »externer Effekte« erreicht werden. Der Klimaforscher Ottmar Edenhofer würde es genauso formulieren. Das Plenum folgte dem Antrag von Christian Schneidermeier, den Schlüsselbegriff Soziale Marktwirtschaft zu erweitern. Beschlossen wurde der Titel »Nachhaltig-soziale Marktwirtschaft«.

CSRD ohne Überregulierung

Thematisch knüpfte daran die Verabschiedung der Positionen Sustainable Finance und Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) an. Das EU-Vorhaben Sustainable Finance ist schon mitten in der Umsetzung. Die IHK fordert quasi, den Schaden zu begrenzen: keine Überregulierung des Mittelstands, Rücksichtnahme auf die Coronalage der Betriebe.

CSRD steht für Nachhaltigkeitsberichterstattung. Hier plant die EU-Kommission eine sehr weitgehende Verschärfung. Bislang mussten nur rund 500 kapitalmarktorientierte deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern über Nachhaltigkeitskriterien berichten. Künftig soll die Pflicht für alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern gelten. Betroffen wären 15.000 deutsche Firmen (siehe Beitrag »Nachhaltig berichten«).

Über diesen Schwellenwert wurde über Chat und Stream lebhaft diskutiert. Vizepräsidentin Carola von Peinen betonte, diese Ausdehnung auf 250 Mitarbeiter mache Sinn. Man müsse so viele Firmen wie möglich ins Boot holen. Anders seien die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Ihre Präsidiumskollegen Otto Heinz und Georg Dettendorfer widersprachen. Man kämpfe ohnehin mit zu viel Bürokratie.

Verschärfung von Berichtspflichten wahrscheinlich

Peter Lingg warnte, die Verschärfung dieser Berichtspflichten bedrohe die Finanzierung des Mittelstands: »Dann werden unsere Firmen von der kreditwirtschaftlichen Versorgung abgeschnitten.« Präsident Lutz sah das ebenso: »Die Banken werden sich damit beschäftigen, weil die EZB sie dazu drängt. Das wird so kommen, ob uns das gefällt oder nicht«, meinte Lutz. Als Ergebnis der Diskussion verabschiedete die Vollversammlung mehrheitlich die Position: Firmen mit bis zu 500 Mitarbeitern bleiben ausgenommen.

Gößl kündigte an, man werde diese Debatte über den richtigen Weg zur Nachhaltigkeit auf allen Ebenen weiterführen. Als jüngstes Beispiel nannte er einen Stromgipfel, den die Grünen Ende November 2021 in der IHK mit Vertretern von Wirtschaftsorganisationen, Naturschutz und Fridays for Future ausgerichtet hatten.

Präsident Lutz wollte schließlich die Vollversammlungsmitglieder mit diesem Hinweis in die Weihnachtstage schicken – er sei noch jung im Amt, aber begeistert von dem, was die Mitarbeiter der IHK leisteten: »Das ist ganz hervorragende Arbeit.«

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