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Klare Verhältnisse

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Scheinselbstständig oder nicht? Ein rechtssichere Kriterienkatalog könnte helfen

Scheinselbstständig oder nicht? Gewissheit schafft hier nur ein Statusfeststellungsverfahren. Das soll reformiert werden – und künftig mehr Rechtssicherheit bringen.

Von Eva Müller-Tauber, 7/2025

Manche Wirtschaftsthemen sind regelrechte Dauerbrenner. Beispiel: Scheinselbstständigkeit. Fast täglich kontaktieren Selbstständige und Gründer die IHK-Rechtsabteilung, um zu erfahren, ob sie gefährdet sind, sozialversicherungsrechtlich als scheinselbstständig zu gelten. So werden Personen bezeichnet, die Dienst- oder Werkleistungen für einen Auftraggeber erbringen und dabei als Selbstständige auftreten, obwohl die praktische Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zeigt, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handelt.

Auch beauftragende Unternehmen fragen regelmäßig nach: Sind meine – potenziellen - Auftragnehmer möglicherweise als scheinselbstständig einzustufen? Woran kann ich das festmachen? Ihre Sorge ist nachvollziehbar, immerhin tragen in erster Linie sie das finanzielle Risiko der Feststellung einer Scheinselbstständigkeit.

Schneller, rechtssicherer, transparenter

Eine Erstberatung der IHK zum Thema Scheinselbstständigkeit bietet Unternehmern eine Orientierung und hilft, die Kriterien für Scheinselbstständigkeit zu verstehen sowie zu prüfen, ob eine Tätigkeit als selbstständig oder abhängig beschäftigt einzustufen ist. „Wirklich Klarheit, ob scheinselbstständig oder nicht, kann allerdings nur ein Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung bringen“, sagt IHK-Arbeitsrechtsexpertin Frauke Kamp (siehe Artikel „Selbstständigkeit: Wenn der Schein trügt“), „und auch das ist stets nur eine Momentaufnahme.“

Nun beabsichtigt die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag jedoch, das Statusfeststellungsverfahren zu reformieren. Es soll schneller, rechtssicherer und transparenter werden. „Die IHK begrüßt dieses Vorhaben ausdrücklich, denn die Angst vor einer Scheinselbstständigkeit sorgt nach wie vor für große Verunsicherung bei Selbstständigen und Auftraggebern und führt häufig dazu, dass Aufträge gar nicht oder ins Ausland vergeben werden,“ so die IHK-Fachfrau für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht.

Goodbye, Deutschland?

Und das sind nur einige der Folgen, wie eine Onlinebefragung des IW Köln unter rund 6.300 Selbstständigen aus dem Herbst 2023 belegt. „Seine zerstörerische Wirkung entfaltet das Statusfeststellungsverfahren auch, wenn es nur als latente Möglichkeit im Raum steht“, schreiben die Autoren der Studie, Oliver Stettes, Holger Schäfer und Thomas Schleiermacher.

Bei der Akquise von Aufträgen macht den meisten Befragten zusätzlicher Aufwand zu schaffen. Dies sagten 60 Prozent der Betroffenen, aber auch fast die Hälfte (43 Prozent) der nicht Betroffenen. Noch beunruhigender: Gut ein Drittel der Selbstständigen (36 Prozent) gaben an, über einen Umzug ins Ausland nachzudenken. Und mehr als ein Viertel (27 Prozent) erwägen, ihre selbstständige Tätigkeit zu beenden. Zusammen sind das mehr als die Hälfte (52 Prozent), die in Betracht ziehen, nicht mehr als Selbstständige am deutschen Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Viele von ihnen arbeiten in der IT-Branche, als Berater oder Softwareentwickler. „Die Befunde lassen den Schluss zu, dass die bloße Existenz des Statusfeststellungsverfahrens genau jene Gruppe von Fachkräften, die auf dem Arbeitsmarkt besonders gesucht sind, zu einer starken Reaktion veranlasst“, schreiben die Studienautoren.

Verfahren nur im Zweifelsfall

„Es sind klare Kriterien und ein vereinfachtes, praxistaugliches Statusfeststellungsverfahren notwendig, um sowohl für Selbstständige als auch für beauftragende Unternehmen Rechtssicherheit zu erreichen“, betont Kamp. Klare Kriterien könnten die Beteiligten in erster Linie befähigen, die richtige Zuordnung selbst zu treffen. Ein Statusfeststellungsverfahren wäre dann nur noch für Zweifelsfälle notwendig.

Eine Reform in diese Richtung fordert auch Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD – Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. in München. „Derzeit können sich Selbstständige nie sicher sein, ob sie trotz zahlreicher Indizien, die dagegensprechen, nicht doch als scheinselbstständig eingestuft werden.“

Kriterien mit Praxisbezug

Der größte Irrtum: Ich habe mehrere Auftraggeber und bin deshalb zweifelsfrei selbstständig. „Die Rentenversicherung prüft aber nur den einzelnen Auftrag und schaut nicht nach rechts und links“, so Lutz. Auch eine GmbH oder UG schützten nicht vor Scheinselbstständigkeit, „ebenso wenig gibt es bestimmte Formulierungen in einem schriftlichen Vertrag, die eine Selbstständigkeit garantieren würden“.

Und auch, wenn es bei der letzten Betriebsprüfung des Auftraggebers zu keinen Beanstandungen gekommen ist, seien hohe Beitragsnachzahlungen möglich. Lutz: „Wir plädieren dafür, dass klare, für jeden Auftraggeber und -nehmer nachvollziehbare und den Verhältnissen der heutigen Arbeitswelt angemessene Kriterien festgelegt werden, die – im Zweifel spätestens durch Hinzuziehen eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters – eine rechtssichere Auftragsvergabe ermöglichen.“

IHK-Info: Podcast zum Thema Scheinselbstständigkeit

Erst kürzlich stand das Thema Scheinselbstständigkeit bei der neuen Veranstaltungsreihe „Selbstständige stärken – gemeinsam diskutieren, informieren, verändern“ auf der Agenda, die die IHK für München und Oberbayern mit dem Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) anbietet. Jetzt beschäftigt sich auch ein ganz aktueller Podcast damit. In ihm erklärt IHK-Juristin Frauke Kamp, was Scheinselbstständigkeit bedeutet, welche rechtlichen und finanziellen Risiken bestehen und wie Selbstständige sowie
ihre Auftraggeber diese vermeiden können. Der Podcast Scheinselbstständigkeit erscheint im Rahmen der IHK-Podcasts-Reihe „Wirtschaft für Zukunft – Impulse, die voranbringen“. Sie bietet Unternehmen und Selbstständigen praxisnahe Beratung, Erfahrungsberichte und aktuelle Wirtschaftsinformationen. Die ersten Folgen des Podcasts sind auf Spotify, Apple Podcasts und Amazon Music frei verfügbar. Neue Episoden erscheinen im Zweiwochen-Rhythmus. 

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