Standortpolitik

Die Einhörner kommen

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Einhörner – Expertise im Umfeld und Kapital lassen sie gedeihen

Start-ups, die mit einer Milliarde US-Dollar und mehr bewertet werden, nennt man Einhörner. Sechs davon gibt es bereits in München und Umgebung. Was diese rasant wachsenden Firmen auszeichnet und verbindet.

Sabine Hölper, Ausgabe 01/2022

Im September vergangenen Jahres wurde der jüngste Neuzugang vermeldet. Nun befindet sich auch das Münchner Start-up Agile Robots im Club der Einhörner. Einhörner beziehungsweise Unicorns sind Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Sechs solcher Einhörner gibt es in Bayern (Stand Redaktionsschluss). Alle sind in München und Umgebung angesiedelt. »Das ist eine sehr gute Quote«, sagt Hendrik Brandis (58), einer der Geschäftsführer des Münchner Risikokapitalgebers Earlybird VC Management. Schließlich gibt es deutschlandweit nur etwas mehr als 20 Unicorns. Die übrigen sitzen laut dem Bundesverband Deutsche Startups in Berlin.

Deutlich zeigt sich die bayerische Stärke im europäischen Vergleich: In ganz Europa existieren etwa 95 Einhörner – bei einer Bevölkerungsgröße von rund 750 Millionen Menschen sind das 0,13 Unicorns pro eine Million Einwohner. In Bayern (13 Millionen Einwohner) liegt dieser Wert bei 0,46. Noch imposanter fällt der Wert für den Regierungsbezirk München/Oberbayern (4,7 Millionen Einwohner) aus: Hier kommen 1,28 höchstbewertete Start-ups auf eine Million Einwohner.

Ein Decacorn mit zehn Milliarden US-Dollar

Der Schluss liegt nahe: Oberbayern ist ein exzellenter Standort für innovative junge Firmen, hier entstehen künftige Global Player. Die sechs in München und Umgebung angesiedelten Einhörner sind Celonis SE, FlixMobility GmbH, Lilium GmbH, Personio GmbH, Scalable Capital GmbH sowie Agile Robots AG. Auf der Rangliste der Unternehmensbewertungen steht der Big-Data-Spezialist Celonis mit elf Milliarden US-Dollar mit großem Abstand auf Platz eins – und zwar nicht nur bayern-, sondern deutschlandweit. Mit einer Bewertung von mehr als zehn Milliarden Dollar ist er sogar ein sogenanntes Decacorn.

»Von Deeptech bis Fernreisen«: Hier direkt zu den Kurzportraits der sechs Unicorns

Warum wachsen gerade in und um München so viele Einhörner heran? Gibt es ein Muster des Erfolgs? Wo liegen Gemeinsamkeiten? Und wo die Unterschiede?

Betrachtet man die Geschäftsmodelle, zeigt sich ein breites Spektrum: FlixMobility etwa ist ein Fernreise-Anbieter, der sich in Konkurrenz zur Deutschen Bahn etabliert hat. Scalable Capital ist ein Fintech, Lilium und Agile Robots gehören zu den Deeptech-Unternehmen. Gemeinsam ist ihnen die hohe Unternehmensbewertung, die mit der Erwartung auf außerordentliches Wachstum einhergeht.

Venture Capital für Wachstumsvisionen

Entsprechend hoch sind die Finanzierungsrunden. Wenn ein Start-up Venture Capital (Risikokapital) einsammelt, handelt es mit den Investoren aus, welchen Anteil am Unternehmen die Risikokapitalgeber für ihr Investment erhalten. Werden beispielsweise für 100 Millionen Dollar Kapital zehn Prozent der Anteile abgegeben, wird das Unternehmen vom Investor auf eine Milliarde Dollar taxiert. Die Bewertung aber ist eine Schätzung, stellt Alexander Hirschfeld (37) vom Bundesverband Deutsche Start-ups klar. »Anders als bei etablierten Firmen, bei denen die Bewertung stark von der aktuellen Profitabilität bestimmt ist, bildet die Bewertung junger, innovativer Start-ups vor allem die Wachstumsvision ab«, ergänzt Earlybird-Geschäftsführer Brandis. Ob das erwartete Wachstum in der Zukunft tatsächlich eintritt, steht dabei auf einem anderen Blatt. Niemand hat eine Glaskugel.

Fakt ist: Je glaubwürdiger die Wachstumsvision, desto höher die Bewertung. Laut Brandis sind sehr hohe Bewertungen insbesondere für Tech-Start-ups gerechtfertigt. Denn: »Die zukünftige Wertschöpfung in der Wirtschaft wird aus dem Technologiesektor kommen«, sagt er. Dennoch müsse man immer abwarten, wie sich ein Start-up entwickle. Erst später zeige sich, ob sich die Hoffnungen erfüllen.

Manchmal werden die Erwartungen auch weit übertroffen. Facebook etwa wurde 2013 mit gut 100 Milliarden US-Dollar bewertet. Heute, knapp neun Jahre später, ist das soziale Netzwerk eine Billion Dollar wert.

Smarter, digitaler und nachhaltiger 

Venture Capital ist eine Wette auf die Zukunft. Eine der entscheidenden Gemeinsamkeiten der Einhörner ist, dass die in- und ausländischen Kapitalgeber bei ihnen diese Wette eingegangen sind, weil sie das innovative Geschäftsmodell der Gründer überzeugt hat. »Ich glaube, was die meisten jungen Unternehmen eint, ist die Kernmotivation: Es geht darum, Dinge smarter, digitaler und vor allem nachhaltiger zu gestalten«, sagt Jochen Engert (40), Mitgründer und CEO von FlixMobility. »Wir haben das mit dem Reisen geschafft, aber es gibt viele gesellschaftliche Bereiche, die sich in einer Zeit des Wandels befinden. Da braucht es einfach den Mut, eingefahrene Prozesse neu zu denken.« Celonis-Gründer Bastian Nominacher (36) sieht es ähnlich: »Alle erfolgreichen Start-ups haben einen Bedarf im Markt erkannt und sind mit einer kundenorientierten Lösung in diese Marktlücke gestoßen.«

Finanzspritze alleine reicht nicht 

Im Austausch für Erkenntnis und Mut erhalten die Gründer Kapital. Es ist der Schlüssel zum Wachstum. Umso bedauerlicher ist, dass junge deutsche Firmen immer noch zu wenig Venture Capital erhalten. Obwohl hierzulande ein Aufholprozess gegenüber führenden Nationen wie etwa den USA oder China eingesetzt hat, laufen wir diesen noch immer hinterher. Vor allem in der Spätphase haben deutsche Unternehmen Schwierigkeiten, Kapital zu erhalten. »Daher ist es schwer, große Unternehmen aufzubauen beziehungsweise sie hier zu halten«, sagt Earlybird-Geschäftsführer Brandis.

Laut dem aktuellen Startup Monitor des Bundesverbands Deutsche Startups wünschen sich junge Firmen vor allem mehr sogenanntes Corporate Venture Capital, also Geld von etablierten Unternehmen. Dahinter stehe ebenso die Idee, mit den erfahrenen Firmen zu kooperieren, also nicht nur eine Finanzspritze zu erhalten, sondern auch »Zugang zu Kunden, Expertise«, sagt Verbandsexperte Hirschfeld.

Erfahrung, Unterstützung und Vernetzung in jeglicher Form – das sind entscheidende Faktoren für den Erfolg. Insbesondere in der Anfangsphase. Hier zeigt sich eine weitere Gemeinsamkeit der Einhörner. Sie hatten Förderer und haben sich bewusst existierenden Institutionen angeschlossen.

Somit wird auch klar, warum München so viele Einhörner hervorgebracht hat: Die Stadt bietet ein hervorragendes Ökosystem. Zu nennen sind insbesondere die Entrepreneurship Center der drei Universitäten: das Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE) der Hochschule München, das LMU Entre-reneurship Center der Ludwig-Maximilians-Universität sowie die TU München mit UnternehmerTUM. Letzteres ist nach eigenen Angaben das größte Zentrum für Gründung und Innovation in Europa.

Standortvorteil Ökosystem

»Wir haben uns der Mission verschrieben, die führende Start-up-Schmiede zu sein«, sagt Helmut Schönenberger (49), Geschäftsführer von UnternehmerTUM und Vice President für Entrepreneurship an der TU München. »Wir wollen jungen Menschen ein perfektes Ökosystem bieten, um Ideen und Träume zu verwirklichen.« Schon häufig ist das gelungen, zum Teil höchst erfolgreich: Vier der sechs oberbayerischen Einhörner, Celonis, Lilium, FlixMobility und Personio, sind dem Gründerzentrum entsprungen.

Es könnten noch mehr werden. Schönenberger beobachtet eine rasante Dynamik. »Ich gehe davon aus, dass wir den Output innerhalb der nächsten zehn Jahre verzehnfachen«, sagt er. Zudem sieht er schon jetzt weitere »Unicorn-Kandidaten« heranreifen, etwa Isar Aerospace Technologies GmbH (Raumfahrt), NavVis GmbH (mobiles Mapping) oder KONUX GmbH (Internet der Dinge).

MUC SUMMIT GmbH als internationales Netzwerk

Um noch erfolgreicher und schlagkräftiger zu sein, vor allem auch international, haben die drei Entrepreneurship-Center 2015 die MUC SUMMIT GmbH gegründet: ein Netzwerk, das Wirtschaft, Wissenschaft, die öffentliche Hand und weitere Akteure zusammenbringt. »Jede Einrichtung in München hat ihre spezielle Ausrichtung und Stärke, diese soll so auch erhalten bleiben«, sagt Katja Werner (30), Projektverantwortliche bei MUC SUMMIT. Mit dem Zusammenschluss werde jedoch ein gemeinsamer Boden geschaffen und das Ökosystem weiter vorangebracht.

Wobei dieser Boden laut Werner schon sehr gut bereitet ist. So steht zum Beispiel UnternehmerTUM nicht nur den Studierenden der eigenen Universität offen, sondern allen, auch internationalen Talenten. »Wir haben keinen Zaun um den Campus gebaut«, sagt UnternehmerTUM-Geschäftsführer Schönenberger. Im Gegenteil: »Die internationale Komponente ist uns wichtig.« Daher unterhalte man ein Netzwerk mit zehn Universitäten weltweit, von den USA über China bis Singapur. Nur: All das muss auch wahrgenommen werden. Vor allem international besteht hier noch Nachholbedarf.

Bayern als Global Player

Die vielen prosperierenden oberbayerischen Start-ups helfen bei der Vermarktung. Allen voran die Einhörner. Sie zeigen, dass junge bayerische Unternehmen die globale Zukunft entscheidend mitgestalten. »Dass internationale Investoren solche hohen Summen in die hier ansässigen Start-ups investieren, spricht für den Standort«, sagt MUC-Summit-Projektleiterin Werner.

Die Geldgeber stoppen ihre Investitionen ja auch nicht, sobald ein Unternehmen mit einer Milliarde Dollar bewertet wird. Vielmehr schießen sie Kapital nach, ermöglichen weiteres Wachstum. Erst das macht die jungen Unternehmen zu den wirklich relevanten Global Playern. Ein aktuelles Beispiel ist Personio. Der Personal-Software-Anbieter hat im vergangenen Oktober 270 Millionen Dollar frisches Kapital eingesammelt. Damit konnten die Münchner ihre Bewertung vervierfachen – auf jetzt 6,3 Milliarden Dollar.

Neues Förderprogramm für Start-ups

Das Projekt Start-up International  fördert junge Unternehmen, die Ausgaben für die Erarbeitung und Umsetzung einer Internationalisierungsstrategie haben. Die Start-ups können dabei aus einem umfangreichen Katalog die für sie passenden Maßnahmen auswählen. Die Firmen gehen bei der Durchführung der genehmigten Maßnahmen zunächst in Vorleistung und können die bezahlten Rechnungen anschließend zur Förderung einreichen.

Die Förderquote für die Start-ups beträgt 50 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben, höchstens jedoch 23.000 Euro pro Zielmarkt. Förderfähig ist die Markterschließung von maximal zwei neuen Ländern, wobei im Rahmen des Höchstbetrags bis zu zwei Anträge pro Zielmarkt gestellt werden können.

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