Standortpolitik

Konzepte für den Aufbruch

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Viel zu tun – Mittelständler tüfteln an Zukunftsstrategien

Mittelständler stehen gerade vor vielen Herausforderungen – vom Fachkräftemangel über die Digitalisierung bis hin zum Umbruch bei den Lieferketten. Worauf es beim Neustart und der Entwicklung von Zukunftsstrategien jetzt ankommt.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 04/2022

Die Herausforderungen für mittelständische Unternehmen sind seit Anfang 2020 nicht kleiner geworden. Lockdowns, Abstandsregeln, Hygieneauflagen, Grenzschließungen und all die anderen pandemiebedingten Restriktionen haben die Wirtschaft gefordert, Lieferketten sind gerissen, Absatzwege eingebrochen. »Die bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmer haben sich von Corona jedoch nicht unterkriegen lassen«, stellt der Bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) fest.

In den beiden Pandemiejahren hätten die allermeisten mittelständischen Betriebe großes Durchhaltevermögen und viel Ideenreichtum gezeigt. »Das geht von der Entwicklung neuer Geschäftsideen und Produkte über die Digitalisierung von Prozessen und Vertrieb bis hin zum Aufbau neuer lokaler oder regionaler Lieferbeziehungen«, so Aiwanger.

Bewältigung zahlreicher Zukunftsthemen

Dieser Aufbruch soll sich fortsetzen, auch wenn nun nicht nur die Pandemie, sondern auch der Krieg in der Ukraine die Diskussionen und die Stimmung im Land wesentlich beeinflusst. Die Unternehmenslenker haben zahlreiche Zukunftsthemen zu bewältigen. Wie finden Firmen dringend benötigte Mitarbeiter, wenn aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen? Wie können Prozesse, Produktion, Vertrieb oder Geschäftsmodelle weiter digitalisiert werden? Wie lässt sich nachhaltiger und energieeffizienter wirtschaften?

Drei zentrale Herausforderungen

Auf die Frage nach den zentralen Herausforderungen für den Mittelstand in den nächsten Jahren nennt Michael Hüther (59), Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln), drei große Felder: die Dekarbonisierung, die digitale Transformation und den demografischen Wandel. »Wobei für mittelständische Unternehmen insbesondere der Fachkräftemangel und der damit einhergehende War for Talents, der durch die Pandemie noch an Dynamik gewonnen hat, besonders gravierend sind«, fügt der Wirtschaftswissenschaftler hinzu.

Als große Aufgabe bezeichnet Hüther darüber hinaus die Lieferketten. »Durch die Pandemie sind internationale Abhängigkeiten deutlich sichtbar geworden«, sagt Hüther. Die Lieferketten werden wohl auch weiterhin unkalkulierbar bleiben – wegen Corona, aber auch wegen des Kriegs in der Ukraine und der Konfrontation mit Russland.

Mittelstandskongress zu strategischen Fragen

Dass es jetzt an der Zeit ist, die strategischen Fragen in den Vordergrund zu rücken, die langfristig für den Erfolg der Unternehmen entscheidend sind, betont Wirtschaftsminister Aiwanger. Sein Ministerium veranstaltet im Mai unter dem Motto »Aufbruch Mittelstand: Neue Strategien für die Zukunft« einen Mittelstandskongress.

»Bei der Digitalisierung ist es längst 5 nach 12«

Dabei geht es um ein breites Themenspektrum vom Fachkräftemangel über die Nachfolge bis hin zur Nachhaltigkeit. Auch die Digitalisierung spielt eine wichtige Rolle. Aiwanger: »Bei der Digitalisierung ist es längst 5 nach 12. Corona hat den Druck spürbar erhöht: Arbeitsorganisation, Produktionsprozesse, Vertrieb, Geschäftsmodelle, alle Felder sind davon betroffen.«

Multichannel-Handel als Strategie

Viele Unternehmen gehen die Herausforderung bereits an. Das Einzelhandelsunernehmen Ludwig Beck AG zum Beispiel hat in der Coronakrise sein Angebot online deutlich ausgeweitet und sich erfolgreich zum Multichannelhändler weiterentwickelt. Doch auch im Hinblick auf das stationäre Geschäft ist der Einzelhändler optimistisch und investiert massiv in das »Kaufhaus der Sinne« am Münchner Marienplatz (siehe Artikel Ludwig Beck AG - Multichannel-Handel). 

Die Wack Group, zu der unter anderem der Reinigungsspezialist Dr. O.K. Wack Chemie GmbH gehört, setzt ebenfalls auf Expansion. Derzeit tätigt die Gruppe die größte Investition ihrer Geschichte und errichtet ein neues Produktions- und Verwaltungsgebäude für bis zu 400 Mitarbeiter. In allen Unternehmensbereichen gebe es sehr viele Chancen, sagt Geschäftsführer Harald Wack. »Dennoch müssen wir auch organisatorisch mitwachsen.« Dies sieht der Unternehmer als eine wesentliche Herausforderung der kommenden Jahre (siehe Artikel Wack Group - Für neues Wachstum).

Nicht jeder Betrieb ist allerdings unbeschadet durch die Coronazeit gekommen. Nun wieder an Aufbruch zu denken, hält Unternehmensberater Norbert Wieselhuber (72) daher generell für richtig. »Aber in passender Intensität und Geschwindigkeit«, sagt der Gründer und Managing Partner der Münchner Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner GmbH in München.

»Kein Sturmlauf«

»Erfahrungen aus der Krisenbewältigung zeigen, dass ein schrittweises Vorangehen angeraten ist – und kein Sturmlauf.« Er rät mittelständischen Unternehmern, zunächst erste Erfolge zu stabilisieren, wobei das Risikoprofil des Aufbruchs zum Risikopotenzial des Unternehmens passen sollte. »Zuerst müssen die Stammkunden gesichert und gepflegt werden, parallel dazu gilt es, Versorgungssicherheit und Liefertreue zu gewährleisten. Und auch die Bindung qualifizierter und engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist wichtig – und das alles bei höchster Ausgabendisziplin.«

In außergewöhnlichen Phasen, wie in den vergangenen beiden Jahren, zeigt sich nach Ansicht des Unternehmensberaters, wie es um die Leadership-Qualitäten von Firmenchefs bestellt ist. Dazu gehört seiner Ansicht nach nicht nur auf Sicht zu fahren, sondern ein klares, realistisches Zielbild zu entwickeln und zu verfolgen: »Damit verhindert man auch die Verzettelung der durch die Pandemie geschwächten Ressourcen.«

»50 Prozent des unternehmerischen Erfolgs sind Psychologie«

Voraussetzung dafür sei ein Geschäftsmodell, dessen Zukunftsfähigkeit schonungslos hinterfragt und analysiert werden sollte. »Jetzt ist es Zeit für neue Produkt- und Servicestrategien, bessere Markenerlebnisse, eine Professionalisierung der Organisation und, damit einhergehend, die Fokussierung auf ertragreiche Geschäftsfelder«, so Wieselhuber. Zu jammern und zu hoffen, dass sich der Erfolg schon wieder einstellen möge, sei dagegen wenig hilfreich, meint der Unternehmensberater. »Schließlich bestimmt die Konjunktur nur 50 Prozent des unternehmerischen Erfolgs. Die anderen 50 Prozent sind Psychologie.«

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